Zeitgeschichtlich war das Jahr 1952 hochinteressant und für die Entwicklung der Bundesrepublik entscheidend. Moskau unterbreitete mit den berühmten “Stalin-Noten” der Bundesregierung den Vorschlag einer deutschen Wiedervereinigung unter bestimmten Bedingungen, vor allem einer militärischen Neutralität und gesamtdeutschen Wahlen. Konrad Adenauer lehnte es strikt ab, auch nur Verhandlungen über das Angebot aufzunehmen, weil er die Westbindung durchsetzen und wohl auch, weil er selbst an der Macht bleiben wollte. Denn bei gesamtdeutschen Wahlen hätte die SPD die Mehrheit bekommen. Wegen Adenauers Weigerung traten mehrere Minister seiner eigenen Regierung zurück, unter anderem der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann.
Der Buchmarkt im Jahr 1952 hatte es wahrlich in sich. Die Bandbreite der Publikationen entwickelte sich gegenüber dem Vorjahr fundamental weiter, wie es sich auch am hier vorgestellten Segment der “schönsten Bücher” sehr gut “ablesen” lässt. Mit großer Wucht trafen Gegensätze aufeinander, die im Grunde noch aus der Weimarer Zeit rührten. Da war zum einen die linksintellektuelle Szene um Literaten wie Alfred Andersch, aber da publizierte auch ein rechtsintellektueller, hochgebildeter Schriftsteller wie Friedrich Georg Jünger. Und da war eine moderne Frau wie Bele Bachem, die in keins dieser Schemata passte und auch keinen Feminismus brauchte, um ihr Leben und ihre Kunst frei zu gestalten.
Die schönsten Bücher des Jahres 1952
Das Auswahlheft wurde im zweiten Jahr des Wettbewerbs nun schon aufwendiger produziert. Wir haben eine englische Broschur mit feinem, pastellfarbenem (allerdings viel zu empfindlichem) Büttenpapier als Umschlag. Layout und Schrift wurden ebenfalls ausgefeilter: die Titel der nun schon 42 ausgewählten Bücher sind rot hervorgehoben. Der Wettbewerb fing an, sich zu etablieren.
Im Vorwort konstatiert Konrad F. Bauer eine deutliche Qualitätssteigerung gegenüber 1951, vor allem, was das Papier, aber auch Druck und Typographie betrifft. Die Gestaltung sei mutiger geworden, was die Jury honoriert habe. Bauer hebt hervor, dass eine beträchtliche Anzahl der insgesamt 400 vorgelegten Bücher nur wegen technischer Mängel, etwa beim Drucken oder Binden, hätte aussortiert werden müssen.
Die vertretenen Literaturgattungen sind breit gestreut (eine Gruppierung wird im Heft allerdings noch nicht gebildet). Sehr stark vertreten sind die Klassiker. Weiterhin wählte man Künstler und Kunstsammlungen, Fotografie, Geschichte und Zeitgeschichte, darunter auch mehrere Werke über das Judentum, aus. Auch die Industrie ist mit den Branchen Metall, Bau und Textil vertreten.
Einen erheblichen Anteil hat die Belletristik, leider auch mit den NS-belasteten Vertretern Holthusen und Sieburg. Besser gefallen da schon die Autoren der zeitgenössischen Belletristik.
Im Jahr 1952 wurde kein einziges Kinder- oder Jugendbuch ausgezeichnet. Das sollte ein einmaliger Ausreißer bleiben.
Das studio frankfurt war eine kurzlebige Reihe mit bundesdeutscher Nachkriegs-Belletristik.
Alfred Andersch, eine zentrale wie auch umstrittene Figur der bundesdeutschen Literaturszene, war überall dabei, wo es neue, unkonventionelle und US-kritische Projekte zu fördern galt. Dazu nutzte der umtriebige Literat unter anderem seine Hörfunk-Sendungen im Abendstudio des Hessischen Rundfunks und die Zeitschrift “Texte und Zeichen”.
1951 gründete Andersch mit Eugen Kogon die Frankfurter Verlagsanstalt, die bereits in der Weimarer Republik bestanden hatte.
Waren es die düster-surrealistischen Umschlagillustrationen des “studio frankfurt”, waren es das unhandliche Format und der jedes Mal wechselnde Satzspiegel? Oder war es vielleicht auch das Programm, bei dem sich schwer eine bestimmte Richtung feststellen ließ, auch was das Niveau betraf? Die Auszeichnung der ersten 5 Hefte als zu den “schönsten deutschen Büchern” gehörend, half beim Publikum auch nicht, zumal der Wettbewerb nur wenig öffentliche Resonanz fand. Schon 1953 wurde die Reihe eingestellt. Höhepunkt war sicher der letzte Band Nr. 12: “Die gestundete Zeit” von Ingeborg Bachmann. Aber nun war der Verlag pleite.
Bild: Aviva-Verlag
1 Ruth Landshoff-Yorck: Das Ungeheuer Zärtlichkeit
Ruth Landshoff-Yorck (1904–1966) war eine mondäne Schönheit, eine aufregende Frau. Die Nichte des Verlegers S. Fischer hatte ein bewegtes und ganz zeittypisches Leben, angefangen vom Berlin der 20er Jahre, bis hin zur Emigration als Jüdin und dem Exil in den USA. Sie war Dichterin, Schauspielerin, Geliebte von Musikern und Autoren, schließlich Antifaschistin.
Das vorliegende Heft beinhaltet eine Reihe von Geschichten, die zu ihren schwächeren Arbeiten gehören. Die Literaturforschung, die sich sehr umfangreich mit der Landshoff-Yorck beschäftigte, ordnete die Kurzgeschichten ein unter “Ausdruck der kulturellen Entfremdung in der Nachkriegsprosa”. Neben dem schwer zugänglichen Inhalt stört vor allem ein schlampiges Lektorat.
2 Das amerikanische Tagebuch des Richard Ott
Der Reformpädagoge Richard Ott (1908–1974) machte sich in der Nachkriegszeit einen Namen mit seinen Vorstellungen über die freie, kreative Selbstentfaltung des Kindes im Kunstunterricht. Einige Jahre fand er eine gewisse Beachtung über die Fachkreise der Kunstlehrer und Erziehungswissenschaftler hinaus. Ott veröffentlichte zum Beispiel in der “Zeit”. Auch der “Spiegel” berichtete über ihn, wenn auch nicht sehr vorteilhaft.
“Das amerikanische Tagebuch” entstand 1951, während einer Reise, die Richard Ott in die USA unternahm, um den dortigen Zeichenunterricht zu begutachten.
Bild: aus dem besprochenen Band
Bild: Bayrische Staatsbibliothek
3 schneider-lengyel: september-phase
Ilse Schneider-Lengyel (1903–1972) wurde dadurch berühmt, dass in ihrem Haus im Allgäu das Gründungstreffen der legendären “Gruppe 47” stattfand.
Die Gedichte der Schneider-Lengyel sind ein typisches Beispiel dafür, warum das “studio frankfurt” so wenig kommerziellen Erfolg hatte. Selbst bei der Avantgarde der Gruppe 47 stieß die Lyrik der Autorin vielfach auf Unverständnis. Die “september-phase” sollte auch ihre letzte Veröffentlichung bleiben.
Wesentlich mehr können die dem Heft hinzugefügten Fotos von Kunstgegenständen aus dem präkolumbianischen Amerika überzeugen.
Die Einheimischen im Allgäu nannten die Dichterin und Fotografin die “Hex' vom Bannwaldsee”. Sie brauste mit rot lackierten Fingernägeln, langen Hosen, auffälligem Schmuck und offenem, wehendem Haar auf einem Motorrad herum.
Ilse Schneider-Lengyel starb 1972 einsam und vergessen in einem psychiatrischen Krankenhaus.
4 Ernst Schnabel: Ein Tag wie morgen
Ernst Schnabel (1913–1986) war eine der bedeutendsten Personen im Rundfunk der Nachkriegszeit. Insbesondere entwickelte er die Form des Features. Bekannt wurde er auch als Sprecher vieler Hörspiele. Seine Lesung von Hermann Melvilles “Moby Dick” aus dem Jahre 1972 wird bis heute (2017) von Rundfunksendern immer wieder ausgestrahlt. Moby Dick, von Schnabel selbst übersetzt, erschien 2015 auch als Hörbuch.
Das vorliegende Heft beinhaltet die gedruckte Fassung eines Radio-Features. Heute würde man die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens anzweifeln. Jedoch gab es in der analogen Zeit keine Möglichkeit, irgendeinen Zugriff auf eine einmal im Radio ausgestrahlte Sendung zu bekommen.
Bild: Time/Warner
5 Heinrich Böll: Nicht nur zur Weihnachtszeit
Eines seiner frühesten Werke zeigt bereits den Heinrich Böll (1917–1985), wie man ihn kennt: ihm ging es weniger um elegante Sprache, um Ästhetik, als um Gesellschaftskritik, die die wunden Punkte der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft bloßlegen sollte.
Die vom studio frankfurt veröffentlichte Kurzgeschichte fängt als harmloser Klamauk an und entwickelt sich zu einer bitterbösen Satire und schonungslosen Abrechnung mit einem zu sinnentleerten Ritualen erstarrten Katholizismus. Kein Wunder, dass Kirchenvertreter empört waren und von einer “Verunglimpfung des deutschen Gemütes” sprachen.
Almanach der Dame
Die Jahrbücher “Almanach der Dame” erschienen von 1952 bis 1971.
Die Herausgeber knüpften damit ausdrücklich, wie es im Vorwort des vorliegenden ersten Jahrganges heißt, an die Biedermeier-Zeit an. Man wendet sich gegen die “Vermassung” (ein damals seit den 20ern geläufiger Begriff der Kulturkritik), gegen die Allmacht der Medien, will das Persönliche, das Private erreichen und entwickeln. Und so tauchen wir ein in die Welt der Häuslichkeit, der Fraulichkeit, der Schönheit...
Der “Almanach der Dame” war ein sehr hübsch gemachtes Kompendium, stets im Schuber ausgeliefert, mit Kalendarium, kleinen Geschichten, Horoskopen, Kosmetikanleitungen.
Der erste Band lebt von den Illustrationen von Bele Bachem (1916–2005), einer der bekanntesten Frauen der 50er Jahre. In der frühen Bundesrepublik war die emanzipierte Düsseldorfer Malerin, Illustratorin und Bühnenbildnerin Renate Gabriele “Bele” Bachem schier allgegenwärtig. Sie gestaltete sogar Porzellan. “Der Spiegel” schrieb mehrfach über sie, darunter schon 1949 eine Titelgeschichte.
Friedrich Georg Jünger: Iris im Wind
Friedrich Georg Jünger (1898–1977) war der Typ des rechten Intellektuellen, wie ihn der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik hervorbrachten – und die Bundesrepublik nie mehr hervorbringen konnte.
Bild: Jünger-Haus Wilfingen
Der jüngere Bruder des extremeren Ernst Jünger machte einen Werdegang mit vom Linksnationalismus bis hin zu einem der ersten Verfechter ökologischer Fragestellungen in der Bundesrepublik der 70er Jahre.
Neben den kulturkritischen Schriften verfasste Friedrich Georg Jünger viel Prosa und Lyrik, vor allem in seiner späteren Schaffensperiode. Der prämierte Band “Iris im Wind” ist tatsächlich sehr schön gemacht und enthält Gedichte, deren Stil einfach und schlicht ist und deren Themen sich um Orte der Heimat, die Natur, die Jahreszeiten, Stimmungen und Erinnerungen drehen.
Johann Jakob Hässlin: Rheinfahrt
Ein ungewöhnlicher Reiseführer und ein schönes Buch. Leider aber auch ein missverständlicher Titel und ein missratener Umschlag.
Im handlichen Taschenbuchformat versammelt diese Veröffentlichung des Prestel Verlages Reisebeschreibungen bekannter Schriftsteller vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, ergänzt um einige hübsche eingehängte Farbtafeln mit Gemälden ebenfalls aus diesem Zeitraum.
Es ist allerdings nicht nur der Rhein, der hier im Mittelpunkt steht, sondern auch die Nebenflüsse und die angrenzenden Landschaften. Heute sind es ja gerade die Nebenflüsse wie Lahn, Mosel und Ahr, die landschaftliche Reize bieten, während das Rheintal durch Siedlungs- und Gewerbegebiete, Infrastrukturmaßnahmen und nicht zuletzt den Massentourismus hemmungslos zerstört wurde und wird. Kaum zu glauben, dass weitere riesige Brückenwerke im schönen Moseltal und im Mittelrheintal “in Angriff” (passender Begriff) genommen werden sollen.
Dass das Inhaltsverzeichnis nur eine Übersicht über die Kapitel bietet und nicht eine detaillierte Auflistung der Beiträge ist ein handwerklicher Makel, der die Benutzung des Buches unnötig erschwert.
Leider wählte der Verlag einen recht düsteren Umschlag. Dem heiteren, leichten Inhalt entspricht er keineswegs.
Der Wettbewerb in der DDR
Deutsche Buchkunstausstellung 1952
Die DDR führte zunächst keinen Wettbewerb, sondern eine umfangreiche Ausstellung durch. Auf dieser wurden deutschsprachige Bücher aus der gesamten deutschen Geschichte seit Johannes Gutenberg gezeigt, also Werke der aktuellen Produktion beider (!) deutscher Staaten.
Der politische Hintergrund dieser Herangehensweise war, dass die DDR-Führung ihren Staat als Erbe des gesamten “fortschrittlichen” deutschen Kulturgutes ansah. Außerdem hielt man – wie es ja auch die Stalin-Noten bewiesen – noch an der Idee eines einzigen deutschen Staates fest.
Im bundesdeutschen Wettbewerb hingegen waren nie
DDR-Bücher zugelassen, weil die BRD-Führung die DDR bis zu den Ostverträgen nicht als zweiten deutschen Staat ansah, sondern einen Alleinvertretungsanspruch hatte, wie er in der Hallstein-Doktrin festgelegt war. In den 50er Jahren sprach man noch von der “Sowjetischen Besatzungszone” (SBZ).
Der DDR-Katalog, ergänzt mit einem Beiheft, war wesentlich aufwendiger gestaltet als das westdeutsche Pendant.
Es gibt zum Katalog zwei Vorworte, die beide sehr politisch geprägt sind und in denen deutlich wird, wie stark in der DDR die Kunst politisch instrumentalisiert wurde. Zunächst schreibt Helmut Holtzhauer, Vorsitzender der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten und Staatssekretär der DDR:
„Angesichts der Bedrohung der Völker durch den kriegslüsternen anglo-amerikanischen Imperialismus gewinnen alle Bestrebungen, die der Erhaltung des Friedens dienen, einen kämpferischen Charakter. In Deutschland, das durch seine imperialistischen Besatzungsmächte gespalten wurde, um eine Ausgangsbasis für den Krieg in Europa zu erhalten, schließt der Friedenskampf das Ringen m die Wiedervereinigung der beiden Teile ein.” Das Buch sei „eine scharfe Waffe in diesem Kampf”. Holtzhauer versteigt sich allen Ernstes zu der Äußerung: „schon sein Äußeres, sein Einband, seine Typographie und seine Illustrationen zeigen, für wen und für welche Sache es ficht.”
Laut Wikipedia habe Holtzhauer (nomen est omen) sich aber mit seiner kruden Form des sozialistischen Realismus in der Kulturpolitik der DDR nicht durchgesetzt.
Kaum besser ist der folgende Beitrag von Heinrich Becker (Börsenverein Leipzig), der eine Frontstellung zwischen dem gesamten deutschen Volk und den imperialistischen (= westlichen) Mächten aufbauen will:
„Unser Volk steht in einem schweren Kampf um seine nationale Kultur. Die imperialistischen Mächte bemühen sich, mit allen Mitteln in ihrem westlichen Einflußgebiet dem deutschen Volk die Produkte ihres niveaulosen Kosmopolitismus aufzudrängen, um dadurch die Widerstandskräfte unseres deutschen Volkes gegen ihre Kolonisierungspolitik zu schwächen. Aber von Monat von Monat regen sich stärkere Gegenkräfte im deutschen Volk” usw. Man ersetze “imperialistisch” durch “jüdisch” und erkennt die frappierende Ähnlichkeit mit dem Sprachduktus des Faschismus. –
Die erste Abteilung im Beiheft des Kataloges lautet: „Unsere Nationalpreisträger”. Hier finden sich moderne, kommunistische oder KPD-nahe Klassiker wie Anna Seghers und Arnold Zweig sowie bekannte DDR-Literaten wie Erich Weinert, pazifistische Schriftsteller der Weimarer Republik wie Bernhard Kellermann und berüchtigte Stalinisten wie KuBa.
Den Schwerpunkt der weiteren zeitgenössischen Literatur bilden Propaganda-Werke verschiedener Provenienz.
Auf dieser Seite ein ausgewähltes Werk, das mir für 1952 typisch erscheint.
Erich Weinert: Memento Stalingrad
Der Lebenslauf von Erich Weinert ist charakteristisch gerade für die DDR-Literaten der ersten Stunde.
“Memento Stalingrad” war eines der zahlreichen Bücher, die damals zu diesem Thema erschienen. Obwohl es “Frontnotizbuch” hieß, war Weinert aber keineswegs deutscher Frontsoldat, sondern Mitarbeiter des später so genannten Nationalkomitees Freies Deutschland, dessen Präsident er auch wurde. Weinert begleitete, auch in Anwesenheit von Walter Ulbricht, die Rote Armee und textete Flugblätter, die hinter den deutschen Linien in Stalingrad abgeworfen wurden.
Die von Weinert aufgenommenen Auszüge aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen deutscher Soldaten mögen gezielt ausgewählt worden sein, dennoch sind sie erschütternd in ihrer Unmenschlichkeit (“die Bolschewiken wie Katzen in der Ostsee ersäufen”; “Kopfschuss hilft am besten”; “was sollen wir mit dem Geschmeiß”; “mag der Hunger vollenden, was die Waffen nicht vermögen”).
Leider kann sich Weinert den Gefühlen von Hass und Verachtung selbst nicht ganz entziehen, wenn er die Wehrmacht-Soldaten “als zu großen Teilen verdummten und primitiven Menschen” erklärt – aber so müssen sie ihren Opfern wohl vorgekommen sein.
Erschreckend das Vorwort, in dem als Grund für die nachträgliche Veröffentlichung der Notizbücher die Gefahr eines unmittelbar bevorstehende Krieges gegen die Sowjetunion genannt wird, den die “dunklen Kräfte des Westens” auslösen wollten. Man kann die Anfang der 50er Jahre verfolgte amerikanische “Roll-back”-Strategie kritisch genug sehen. Jedoch davon zu sprechen, dass “viele Menschen” im Westen “sich heute in einem ähnlichen Seelen- und Geisteszustand befinden, der dem der deutschen Soldaten vor Stalingrad ganz ähnlich ist”, ist unfassbar und zutiefst verantwortungslos.
“Die schönsten Bücher des Jahres 1951/52”
Der links abgebildete Katalog zur im November 1953 in Leipzig stattgefundenen “Deutschen Buchkunstausstellung 1953”, der auch die Liste “Die schönsten Bücher des Jahres 1953” (an anderer Stelle im Katalog als “Die schönsten Bücher des Jahres 1952/53” bezeichnet) beinhaltete, hat einen Anhang:
“Die schönsten Bücher des Jahres 1951/52”
Der Anhang ist undatiert, obwohl er neben der Liste der ausgezeichneten Bücher auch ein Vorwort und ein Sitzungsprotokoll enthält. Warum wurde die Auswahl der schönsten Bücher des Jahres 1951/52 nicht im Katalog zur Buchkunstausstellung 1952 abgedruckt? (Werner Richter formuliert zwar in der Einleitung des Gesamtbandes: “Prämiierung im Jahre 1952 vorgenommen”. Es heißt an anderer Stelle aber: “das verflossene Produktionsjahr”.)
Möglicherweise wurde der Wettbewerb “nachgeholt”, nachdem man gesehen hatte, dass die BRD auf einem kulturellen Gebiet, das die DDR für sich reklamierte, enteilt war und schon die “schönsten Bücher des Jahres 1951” ausgezeichnet hatte. Es ist nachträglich so gut wie unmöglich, irgendeine Datierung vorzunehmen, da auch nirgendwo Angaben zu finden sind, in welchem Monat die Buchkunstausstellung 1952 stattfand. Vielleicht bewertete man auf einer Sitzung Ende 1952 oder Anfang 1953 einen Doppeljahrgang 1951/52.
Oder ging man noch weiter zurück und bezog die gesamte bis dahin erschienene Buchproduktion der DDR ein? Eine antiquarische Recherche ergibt, dass mehrere der ausgezeichneten Bücher bereits 1950 (!) erschienen.
Die Sitzung der westdeutschen Jury in Frankfurt am Main für “die schönsten Bücher 1951” hatte übrigens auch etwas verspätet erst im August 1952 stattgefunden.
Das Vorwort von Clemens Seifert vom Amt für Buch- und Bibliothekswesen bringt zunächst die übliche Huldigung an die Sowjetunion (“auch bei der Entwicklung unserer Literatur vom sowjetischen Vorbild lernen”), den Verweis auf die “realistische Buchkunst” und die “Rolle des fortschrittlichen Buches bei der Verteidigungsbereitschaft”, der “Wiederherstellung der Einheit Deutschlands” und des “Aufbaus des Sozialismus”.
Sodann gibt es kritische Hinweise zum aktuellen Stand der Buchgestaltung, die noch nicht befriedigend sei.
Zur Hilfestellung werden alle Elemente der Buchgestaltung aufgeführt und kurz erklärt, auch in Abgrenzung zur “kapitalistischen Verlegerpraxis” der BRD und der “kosmopolitischen Bestrebungen des amerikanischen Imperialismus, unsere Nationalkultur zu zerstören”.
Die Autoren der ersten beiden prämiierten Bücher sind natürlich – wer hätte es gedacht – J. Stalin und Walter Ulbricht. Sodann folgt die “Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken”. Ansonsten unterscheidet sich die Auswahl der verschiedenen Literaturgruppen nicht von der in späteren Jahren und in anderen Ländern vorgenommenen Struktur.
Einmalig aber dürfte sein, dass Buchhandlungen aufgefordert wurden, bestimmte Bücher ohne den Umschlag auszustellen (diesen “zu entfernen”):
“Michail Prischwin: Geheimnisse des Waldes” hatte tatsächlich einen selten missraten Schutzumschlag (die kahle Birke mit den Elstern könnte von einem Kind des 2. Schuljahres gemalt worden sein).
Jedoch war der Umschlag von “Robert Kraus: Getriebeaufbau” gelungen und sieht heute noch gut und passend aus: gutes Grafikdesign mit einfachen Mitteln (zweifarbig mit doppelter Negativschrift). Die Jury, die wohl alle “formalistischen Tendenzen” aufspüren musste, brandmarkte “den reklamehaft aufdringlichen und primitiven Charakter” des Schutzumschlages.
Nach der Auflistung und Kommentierung der 20 Preisträger sowie einiger weiterer lobender Erwähnungen wird nochmals in scharfen Worten dazu aufgerufen, konsequent gegen die Richtungen des “Formalismus” und der “als kosmopolitisch entlarvten Neuen Sachlichkeit” einzuschreiten.
Schwer getroffen hat es den Amtsvertreter Clemens Seifert, dass ausgerechnet das vom SED-Funktionär Hans Lauter verfasste Pamphlet “Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur” mit einem Einband versehen wurde, auf dem “die platte Reihung schlecht lesbarer Grotesk-Versalien” zu sehen ist, anstatt den Titel “in schöner klassischer Antiqua und harmonischer symmetrischer Gestaltung” zu setzen.
Ein Blick nach Österreich
Die schönsten österreichischen Bücher 1952
Österreich veranstaltete 1952 seinen ersten Wettbewerb
„Die schönsten österreichischen Bücher des Jahres”. Ausgezeichnet wurden 10 Bände.
Das Heft erinnert in seinem kleinen Format, seinem oliven Grau und seinem einfachen Layout sehr an das bundes-
deutsche Auswahlheft von 1951. Im Anhang befinden sich s/w-Abbildungen der prämiierten Bücher.
Veranstalter ist der Österreichische Verleger-Verband, also nicht so wie in Deutschland der Verband der Buchhändler („Börsenverein”). Beim Auswahlverfahren gab es auch einen wesentlichen Unterschied. Während die Jury in Deutschland damals noch aus der bei der Deutschen Bibliothek vorgelegten Pflichtexemplare der gesamten Buchproduktion auswählen konnte, gab es in Österreich ein freiwilliges Verfahren für den Wettbewerb, zu dem für das Jahr 1952 nur 70 Bücher eingeschickt wurden.
Heinrich Decker: Venedig – Antlitz und Kunst der Stadt
Das aufregendste Buch dieses österreichischen Jahrgangs war “Ein Dorf wird / ein Leicaband” von Stefan Kruckenhauser. Dieses wird jedoch in schwindelerregenden 3-stelligen Bereichen gehandelt, mit gutem SU über 500 €. Als Ersatz wird der Venedig-Band vorgestellt.
Der schwergewichtige Band bringt viele großformatige Schwarz-weiß-Aufnahmen von mittlerer Qualität. Verwendet wurde deutsches Mittelformat: Linhof Technika und Agfa. Viele Abbildungen leiden unter einem übermäßigen, unnatürlich wirkenden Aufhellen dunkler Bildstellen (wie auch immer das bei der damaligen analogen Technik ging). Interessant die vier Kodachrome-Farbaufnahmen.
Insgesamt ein guter Eindruck des Venedig-Bildes Anfang der 50er Jahre, ergänzt mit nicht zu langen Bilderklärungen des Autors und Fotografen, eines bekannten Kunsthistorikers.
...was macht die Schweiz?
Die schönsten Schweizer Bücher 1952
Das Heft ist nun etwas aufwendiger gestaltet. Es bleibt aber aus drucktechnischen Gründen zunächst dabei, dass die Abbildungen in einem eigenen Innenteil wiedergegeben werden.
Das Auswahlverfahren wurde ebenfalls abgeändert und den Nachbarstaaten angepasst. Ziel sei es nun auch, nicht mehr nur „gute Bespiele”, sondern „Bestleistungen”, auch im Wettbewerb mit anderen Ländern gesehen, auszuzeichnen. Ein beachtenswerter Nachweis davon, dass sich die einzelnen nationalen Wettbewerbe gegenseitig beeinflussen.
23 von 205 eingesandten Werken wurden ausgezeichnet, davon 14 “deutschschweizerische Veröffentlichungen” und 9 aus der Westschweiz (der französisch sprechenden Schweiz). Insgesamt sei das Niveau deutlich gestiegen, jedoch wurde Kritik vor allem an der mangelnden Qualität im Bereich der Belletristik und Jugendbücher geübt – das kam genau so auch in den anderen deutschsprachigen Ländern vor.
Das Auswahlheft ist in dieser Zeit stets zweisprachig gehalten: Deutsch und Französisch. Erst später wird es dreisprachig.
Die Auswahl ist sehr niveauvoll und reicht vom Jahrbuch der internationalen Werbegrafik bis zum hervorragend gemachten Bilderbuch.
Walter Herdeg und Charles Rosner:
Graphis Annual 1952/53
Die Zeitschrift für Werbegraphik “Graphis” wurde bereits 1944 in Zürich gegründet. Die erste Ausgabe erschien im September/Oktober 1944, als sich der Rest der Welt noch tief in einem katastrophalen Krieg befand und andere Probleme hatte. Die Sonderstellung der Schweiz lässt sich kaum besser verdeutlichen als anhand der Gründung dieser Publikation.
Acht Jahre später erschien das erste Jahrbuch. Graphis Annual wurde eine Erfolgsgeschichte sondergleichen und erscheint bis heute (2018). Seit 1986, als Walter Herdeg den Verlag verkaufte, ist der Erscheinungsort allerdings New York.
Die herausragende Qualität der Jahrbücher hat der Chronist im Jahrgang 1957 beschrieben. Vergleicht man beide Bände, steigt natürlich die Anzahl der Farbabbildungen. Und die Schwarz-Weiß-Abbildungen sind 1957 schon schärfer und kontrastreicher.
Vom Grafik-Design her sind nur wenige Unterschiede zu erkennen. Der Jahrgang 1957 wirkt graduell etwas moderner und naturgemäß ist der Bekanntheitsgrad der Werbung für den Chronisten (*1956) bereits höher.
Und dann passiert dasselbe wie 1957. Eine einzige Werbung ragt aus all den lustigen Männchen und adrett-puppigen Frauchen heraus. Die Anzeige für ein amerikanisches Make-up, mit einer Ästhetik und einem Frauenbild, das in den 60er Jahren erst entstand und auch im 21. Jahrhundert als unvermindert attraktiv empfunden würde. Wie haben die Leser(innen) wohl damals reagiert?
Der schlanke, fast nackte Oberkörper, die feingliedrigen, sehr langen, auf einer geöffneten Rundung liegenden femininen Hände, die sinnliche Bewegung, der lasziv geöffnete Mund, die genießerisch geschlossenen Augen, das die feinen und schönen Gesichtszüge ganz freigebende, zurückgebundene Haar, all das. Man achte z. B. einmal auf die Entsprechung der Dreiecke des geöffneten Mundes und des linken Armes, und ein weiteres Dreieck spiegelbildlich in der rechten Armbeuge wiederkehrend. Das ist ganz große Klasse.
Das Bild machte einer der bedeutendsten Modefotografen des 20. Jahrhunderts: William “Bill” Helburn. Die Zeitschrift, in der die Annonce erschien, wird leider nicht genannt. –
Die Bundesrepublik Deutschland ist im Jahrbuch schon wieder mit überraschend vielen Beiträgen vertreten. Deutsche Künstler finden sich vor allem beim eigentlichen Grafik-Design, z. B. von Logos, wo sie mit einfachen Formen, wenigen Farben und starken Kontrasten einen Vorgeschmack auf Op-art und Pop-art geben.
Was man bei deutschen Designern kaum sieht, ist das Anfang der 50er Jahre vorherrschende Stilmittel der Werbung: Humor. –
Interessant für die Zeitgebundenheit auch der Textbeiträge ist die Bemerkung der Herausgeber zur Bedeutung von Schutzumschlägen bei Büchern (S. 139). Sie wollen damals im Schutzumschlag keinen Teil des Buches bzw. des “Buchschmuckes” erkennen, sondern – und darüber könne “kaum Zweifel herrschen” – als Werbung, da er “materiell gesehen eine Verpackung” sei. Dieser inzwischen lange überkommenen Ansicht war auch der Vorbesitzer des Buches. Man sieht an den Knickspuren des Umschlages, dass er diesen entfernte, zusammenfaltete und wohl zwischen den Buchdeckeln aufbewahrte. Das Design des Umschlages stammt übrigens vom Herausgeber Walter Herdeg selbst.
Alois Carigiet / Selina Chönz: Flurina und das Wildvöglein
Die Zusammenarbeit des bekannten Schweizer Künstlers Alois Carigiet und der Schriftstellerin Selina Chönz brachte eine Bilderbuchreihe hervor, die in der Schweiz über Jahrzehnte große Erfolge feierte und auch weltweit beachtet wurde. Nur in der Bundesrepublik wurde die Reihe leider nie so ganz bekannt. Da ist den deutschen Kindern viel entgangen.
1945 erschien der “Schellen-Ursli”. Die Flurina ist seine Schwester. Sie erhielt 1952 eine eigene Erzählung. 1957 schließlich erschien “Der große Schnee”.
Der etwas kratzige Stil, den Carigiet den Geschichten verordnete, wirkt vom Design her ungemein modern. Die gereimten Verse der Texterin haben natürlich Lokalkolorit (wer weiß schon, was ein “Maiensäss” ist?), sind aber auch lustig, sensibel und kindgerecht.
“Flurina und das Wildvöglein” ist eine herzzerreißende Geschichte vom Liebhaben und vom Gehen lassen. Und vom schließlich doch noch belohnt werden für seine Mühe. Und das alles vor dem grandiosen Hintergrund der Engadiner Bergwelt.
Hochgeladen am 19. April 2015; zuletzt aktualisiert am 23. Juli 2023.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden unter anderem geliefert von: Antiquariat Schwarz, Köln/Bonn (Auswahlheft BRD),
Books and Beaches, Icking (Almanach), Antiquariat Ballon + Wurm (Iris, Stalingrad), Liberat.com (Auswahlband Österreich),
Celler Versandantiquariat (Graphis), Antiquariat Fraziska Bierl (Flurina).