1966. Ein Jahr eines großen politischen Umbruchs in der Bundesrepublik Deutschland. Die SPD zieht zum ersten Mal seit 1930 wieder in die Regierung ein und stellt im Kabinett Kiesinger mit Willy Brandt zunächst den Außenminister.
Die kulturelle Revolution der 60er zeigt endlich auch erste Auswirkungen auf dem Buchmarkt. Nicht zufällig ist es die Büchergilde Gutenberg, die mit dem Bildband “Liverpool Beat” einen Schritt in eine neue Zeit macht. In der Musik ist die Hoch-Zeit des Beats schon vorbei. Gerade die Band mit dem Namen “The Beatles” brachte mit “Revolver” ein Album heraus, das ganz neue Klangfarben enthielt und experimentelle Ansätze zeigte. Der Einfluss von Drogen wie LSD machte sich in der Musik bemerkbar. Interpreten wie Jimi Hendrix und Yardbirds kamen heraus und gingen mit bluesigen und progressiven Musik-Elementen noch weiter als die Beatles in der Veränderung des später schon als brav empfundenen Beats.
Die ARD schrieb mit den “Phantastischen Abenteuern des Raumschiffs Orion” Fernsehgeschichte.
Im Sport war es das berühmt-berüchtigte “Wembley-Tor”, das die bundesdeutsche Mannschaft um den möglichen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft in England brachte.
Die schönsten deutschen Bücher 1966 (Auswahlheft)
Bei der Einbandgestaltung fällt man vorübergehend wieder in die biederen 50er Jahre zurück.
Der sehr kurze Jurybericht ist lediglich mit „Stiftung Buchkunst” signiert. Irritierend subjektiv und zudem überflüssig ist die vorgenommene Bewertung der Literaturgattungen. Die „meisten Bücher von Dauerwert” befänden sich bei der „wissenschaftlichen Literatur und den Fachbüchern”, so wie es „wohl jeden buchhändlerischen Beurteiler befriedigen” werde – ein Urteil, das nicht nur die Neutralität der Jury in Frage stellt, sondern auch falsch ist. Wie schnell veralten doch „dauerhafte” wissenschaftliche Erkenntnisse und wie lange hat gute Belletristik Bestand.
Die Belletristik wird hier nach wie vor als „allgemeine Literatur” bezeichnet und Bildbände als „Schaubücher”.
Der oder die Verfasser bewundern die „Kühnheit” bibliophiler Erscheinungen. Die Aufnahme vieler solcher Veröffentlichungen für Buchliebhaber ins Verzeichnis erscheint fragwürdig. Diese Werke hatten nicht nur eine sehr kleine Auflage (z. B. 300 Exemplare), sie waren auch damals schon sündhaft teuer und werden heute antiquarisch durchaus im oberen dreistelligen Bereich gehandelt.
Die Büchergilde Gutenberg wurde alleine 7 mal ausgezeichnet. Deutete sich hier schon eine gewisse Schieflage an, die uns später noch häufiger beschäftigen sollte? Jetzt waren es aber immerhin noch unterschiedliche Designer.
Juergen Seuss / Gerold Dommermuth / Hans Maier:
Beat in Liverpool
Das Vorwort, verfasst im Duktus einer Seminararbeit am Soziologischen Institut etwa der Universität Frankfurt in den späten 60ern, ist entlehnt den damals gängigen, an Herbert Marcuse orientierten Theorien des "Konsumterrors", mit interessanten Einzelbeobachtungen, teils auch frei phantasierend und in einer für die damalige linke Szene typischen Verbindung von marxistischen Versatzstücken und bürgerlicher Sozialpsychologie.
Bleibenden Wert erhält das Buch durch die beeindruckenden dokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotos, denen allerdings die Absicht, die düsteren Seiten von Liverpool zu zeigen, auch deutlich anzumerken ist und die von wechselnder technischer Qualität sind. Am besten sind die Bildfolgen, die viel Atmosphäre und viel Stimmung einfangen und die auch nicht größer reproduziert sind, als sie hergeben.
Das bei der Büchergilde Gutenberg erschienene Werk ist die unveränderte Lizenzausgabe der Veröffentlichung bei der Europäischen Verlagsanstalt aus dem Jahr 1965. Warum diese im Wettbewerb nicht berücksichtigt worden war, ist nicht erfindlich. Details wie Papier und Bindung lagen mir zum Vergleich aber nicht vor.
Karl Ruhrberg / Hermann Weisweiler: Düsseldorf
Obwohl der Greven Verlag aus Köln kommt, soll der Band Werbung für die Stadt Düsseldorf machen. Bei den Texten spricht der Namen Karl “Charlie” Ruhrberg (1924–2006) für sich. Nicht so überzeugend kommen die Fotos herüber. Viele Fotos haben interessante Motive, einen gelungenen Bildaufbau und eine gute technische Umsetzung in Schärfe und Durchzeichnung, erreichen aber selten das bereits damals in der Schwarz-Weiß-Fotografie technisch Mögliche. Manche Bilder hätte man ganz weglassen sollen. Ob deren teils dramatisch schlechte Qualität an den Vorlagen oder an den Klischees lag, ist vom Betrachter kaum zu entscheiden.
Der Gesamteindruck ist, dass es sich bei Düsseldorf um eine interessante Stadt handelt, die aber auch hässliche Seiten hat. War das gewollt?
Das Buch an sich ist hingegen, abgesehen vom farbstichigen Coverfoto, sehr gut gelungen. Dazu tragen vor allem das hervorragende, für die damalige Zeit hypermoderne Layout und das 170 g schwere graue Papier der Textseiten bei. Irritierend aber, dass die Textseiten bei der Paginierung ausgenommen werden.
Werner Bergengruen: Römisches Erinnerungsbuch
Werner Bergengruen (1892–1964), einer der bekanntesten Autoren der Nachkriegszeit (damals sagte man noch “Dichter”), verfasste 1949 nach einem zweijährigen Aufenthalt in Rom seine Ode an die ewige Stadt. Sehr sensibel und eindringlich, vor dem Hintergrund eines umfangreichen historischen und kulturellen Wissens, wird das Leben in Rom in all seinen Facetten beschrieben. Am besten sind die einleitenden Passagen, die das Erleben des Reisens allgemein beschreiben. Die von Bergengruen emphatisch vorgetragene Befürwortung des Abrisses historischer Gebäude und Monumente, damit Neues Platz habe (S. 6), mutet jedoch etwas befremdlich an.
In einem Vergleich der beiden Ausgaben des Herder Verlages kann man keine Verbesserung in der neuen Ausgabe von 1966 erkennen. Im Gegenteil, während in der Erstausgabe von 1949 Text und Bild in einem kongenialen Zusammenhang standen, erscheint die “Modernisierung” aus dem Jahre 1966 völlig misslungen.
Die zahlreichen, aus dem 18. Jahrhundert stammenden Stiche von Piranesi erscheinen nicht optimal gewählt, da ja das heutige Rom beschrieben wird, wenn auch stets mit historischen Bezügen. Das Düstere, das die Kupferstiche haben, passt nicht zum heiter und gelassen geschriebenen Text.
Noch ärger ist die plakative Erweiterung mit den 17 Jahre später entstandenen “künstlerischen Farbaufnahmen” (Klappentext) des “Magnum-Fotografen” Erich Lessing (*1923). Der österreichische Fotograf hat ein imposantes Œuvre an Schwarz-Weiß-Aufnahmen hinterlassen. Die dunklen, in den ausufernden Schattenbereichen kaum durchzeichneten sowie in Motiv und Bildaufbau oft uninspirierten Dias dieses Buches gehören sicher nicht dazu.
Das lichte Layout gefällt. Dennoch ist es ein Rätsel und ein Hinweis auf eine Geschmacksverirrung, wie man diese Neuveröffentlichung auszeichnen konnte.
Wie wohltuend hingegen die Originalauflage von 1949, die mir in 9. Auflage (1960) vorliegt. Der umfangreiche Bildteil von Charlotte Bergengruen erlaubt auf 257 sehr guten Schwarz-Weiß-Fotos tiefe und differenzierte Einblick in das römische Stadtbild Ende der 40er, als sie und ihr Mann dort auch lebten. In wünschenswerter Weise zeigen diese Fotos auch Passanten, Fahrwerke und dergleichen, also Stadtleben. Das etwas kleinere Format des Buches ist zum Mitnehmen unterwegs immer noch etwas groß, aber dennoch viel praktischer als die Neuauflage im Überformat.
Norddeutsche Affinerie:
Kupfer in Natur, Technik, Kunst und Wissenschaft
Dieses sehr “gediegen” und ansprechend gemachte Buch ist die zum 100jährigen Bestehen der Norddeutschen Affinerie erschienene Festschrift. Hier stimmt alles und alles ist hochwertig: Einband, Beiträge, Illustrationen. Mit dem sehr modernen, lichten Layout hat man schon den heutigen Standard erreicht.
Der Einband zeigt das Zeichen für Kupfer, das identisch mit demjenigen für den Planeten Venus und damit für “weiblich” ist. Grund hierfür ist derselbe Wortursprung: die Assyrer nannten das Metall “kipar”, weil es auf der Insel “Zypern” gewonnen wurde. Diese wiederum war die Heimat der griechischen Liebesgöttin Aphrodite, auch “Cypris” genannt, weil die Insel als ihre Geburtsstätte galt.
Interessant ist auch das in der Öffentlichkeit kaum bekannte Unternehmen “Norddeutsche Affinerie”, heute in der allgemein verbreiteten (Un-)Sitte, global “gültige” Namen zu finden: “Aurubis”. Die Aurubis mit Sitz in Hamburg ist eines der wenigen noch bestehenden deutschen Metallunternehmen von Weltrang. Im Bereich der Kupfergewinnung und -verarbeitung ist die Aurubis sogar Weltmarktführer. Der Umsatz beläuft sich auf 11 Mrd. Euro.
2016 jährt sich die Gründung des Unternehmens zum 150. Mal.
Ursula Wölfel / Lilo Fromm: Wunderbare Sachen
Ein “erstes Lesebuch” für die Grundschule, wie es das heute (2016) wahrscheinlich gar nicht mehr gibt, schon alleine weil die Kinder jetzt in den ersten drei Schuljahren falsch (phonetisch) schreiben lernen – was für ein Irrsinn.
In schöner Schreibschrift und später in Druckschrift erzählt der Text in zunehmender Komplexität das Alltagsleben einer Gruppe von Kindern durch ein ganzes Jahr, bestimmt durch die Jahreszeiten.
Eines der frühen Bücher der Künstlerin Lilo Fromm (*1928) und der Autorin Ursula Wölfel (1922–2014), beide vielfach ausgezeichnet.
Der Wettbewerb in der DDR
Die schönsten Bücher der DDR 1966
Das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 hatte zunächst geradezu verheerende, repressive Auswirkungen auf das Kulturleben der DDR und beeinflusste massiv den hier vorgestellten Wettbewerb für das Jahr 1965 (von der Jury ausgewertet im Januar 1966).
Im Verlauf des Jahres 1966 konnten sich die DDR-Autoren und die für den Wettbewerb verantwortliche Jury aber offensichtlich wieder ein ganzes Stück freischwimmen. Davon zeugt die Auswahl der “schönsten Bücher der Deutschen Demokratischen Republik” für das Jahr 1966.
Im jetzt wieder sehr umfangreichen Bericht der Jury, deren Vorsitzender erneut Bruno Kaiser (1911–1982) war, wird eingangs von den „literarischen und wissenschaftlichen Qualitäten” gesprochen, die „vom humanistischen und sozialistischen Anliegen unseres Staates geprägt” seien. Bezeichnenderweise heißt es dann, die „buchkünstlerische Qualität” käme „noch hinzu”. Die Buchkunst genießt also Autonomie und ist nicht mehr Ausdruck des „sozialistischen Realismus” und nicht “Instrument des Klassenkampfes”.
Mitglieder der Jury waren neben den üblichen Vertretern von Hochschulen, Ministerien, Verlagen und Bibliotheken auch Werktätige wie Illustratoren, Buchbinder, Setzer und Buchbinder – sicher sehr sinnvoll! Die BRD hatte etwas Vergleichbares natürlich nicht vorzuweisen. Im Vergleich wirkt auch die BRD-Auswahl (nicht nur) dieses Jahres betulicher und biederer, abgesehen vom oben vorgestellten Band “Beat in Liverpool”, welcher ausgerechnet im gewerkschaftsnahen Verlag der Büchergilde Gutenberg erschien.
Wohltuend differenziert, argumentativ und offen werden von der Jury verschiedene Probleme diskutiert wie die (wohl aus wirtschaftlichen Gründen) noch nicht ausreichende Verwendung von unterschiedlichen Schrifttypen oder auch der sinnvolle Einsatz von Illustrationen in Lyrik-Bänden.
Sehr ausführlich werden wieder der Stand der Drucktechnik sowie der gesamten Buchproduktion gewürdigt. Wohl zu Recht wurde einigen im Offset-Druck hergestellten farbigen Schulbüchern Weltspitzenqualität beigemessen. Mehrmals wurde die Qualität der Fotos bzw. deren Reproduktion bemängelt – daran hätte sich die bundesdeutsche Jury ein Beispiel nehmen sollen.
Auch bei der Besprechung von neuen und experimentellen Wegen in der Buchgestaltung werden unterschiedliche Meinungen in der Jury sehr transparent gemacht. Wie streng die Jury war, erkennt man etwa daran, dass es tatsächlich bei den 49 Auswahlbänden blieb und man nicht noch ein Buch “drauflegte”, um das halbe Hundert vollzumachen.
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Nur “Lobende Erwähnung”
Weiterhin fiel z. B. die zur Arbeiterliteratur zu rechnende Veröffentlichung “Deubener Blätter Band III”, als ein Buch mit „der interessantesten typographischen Gestaltung” durch, weil „einige nicht vertretbare farbige Bilder” verwendet wurden. Tatsächlich waren es hauptsächlich zwei farbige Kinderzeichnungen von “Jürgen Puhr, Klasse 1 a” und “Gabriele Rödel, Klasse 3a”, die sich unter die gutklassigen Schwarz-Weiß-Grafiken geschummelt hatten und damit die wichtigste Design-Regel verletzten: Konsistenz. Immerhin schafften es die “Deubener Blätter Band III” aber in die „Lobenden Erwähnungen”. Typisch für die streng sachgebundene, offene Arbeit des Auswahlprozesses und in der BRD undenkbar: Gestalter des durchgefallenen Buches war der zur Jury gehörende Walter Schiller, Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. So hatte man sich den Sozialismus mal vorgestellt: ‘Das sozialistische Kollektiv entscheidet ohne Ansehen der Person über die Qualität der Arbeitsergebnisse.’
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Bei den ausgewählten 49 ”schönsten Büchern der DDR” (1965 waren es 43) wird zunächst wie fast in jedem Jahrgang ergeben der marxistisch-leninistischen Ideologie gehuldigt. Die ersten drei vorgestellten Bände sind zwei Geschichten der Arbeiterbewegung und „Marx in Briefen”. Eine Pflichtübung.
Dann folgt jedoch ein buntes Kaleidoskop ansprechender und schön gestalteter Bücher. Und politisch-ideologisch ist man wieder offener, wie die nach 1956 erneute Aufnahme eines Werkes von Edith Rothe sowie mehrerer christlicher Bücher beweist. Auch die regimekritischen Autoren Reiner Kunze und Günter Kunert sind wieder in einem Sammelband vertreten: ”79 Songs & Chansons”.
Im Auswahlband erfolgt wieder eine eingehende Würdigung jedes einzelnen Werkes. Dabei ist die Unterteilung der Literaturgattungen viel sinnvoller (und üblicher) als im BRD-Pendant.
Grotesk aber die mehrfach verwechselten Seiten am Ende des Kataloges. Das dürfte so manchen Wutausbruch hervorgerufen haben...
79 Songs & Chansons
Eines der schönsten Bücher des gesamten deutschsprachigen Raumes im Jahr 1966. Die Aufmachung von “79 Songs & Chansons” mutet modern und progressiv an. 15 Jahre früher wäre das der “Pop-art” zuzurechnende Umschlagbild dem “Formalismus”-Verdikt zum Opfer gefallen.
Herausgeber der Anthologie waren Klaus-Dieter Sommer und der regimekritische Gerhard Wolf (*1928). Umschlag und die feinen Tuschezeichnungen im Innenteil stammten von Klaus Ensikat (*1937), diesmal aber nicht in seinem üblichen fein-ziselierten Stil.
Als Autoren waren die “üblichen Verdächtigen” vertreten: Kirsch, Kunert, Kunze, Nyland, Steineckert et al.
Ernst Krause: Die großen Opernbühnen Europas
Toll die Idee sowie die schiere Fülle des Materials. Die Fotos sind teilweise hervorragend, v. a. einige der Innen- und Außenaufnahmen in der Totalen, bis akzeptabel. Die Fotos der Aufführungen erreichen aber nie die Qualität einer Rosemarie Clausen. Dafür entschädigen die vielen Bühnenbilder. Der Umschlag fällt in Motiv und Gestaltung etwas ab.
Die Texte des renommierten Opernkritikers Ernst Krause (1911–1997) sind ungemein detail- und kenntnisreich, dabei sehr subjektiv und traditionell orientiert. Das Layout mit einem auch Mitte der 60er Jahre schon langsam veralteten, dicht gedrängten Blocksatz und viel zu langer Laufweite ist allerdings nahezu unlesbar – zumindest für heutige Lesegewohnheiten.
Auf die Idee, das Abbildungsverzeichnis nicht seitennumerisch, sondern alphabetisch nach den Namen der Fotografen zu ordnen, und dies in einem engen Fließtext, dabei noch 70 % der riesig großen Seite frei zu lassen, muss man erst mal kommen.
Edith Rothe: Buchmalerei aus zwölf Jahrhunderten
Der Titel ist irreführend, denn die Illustrationen stammen überwiegend aus dem Hoch- und Spätmittelalter. Das Werk, mit dem nach 1956 die ehemals aus politischen Gründen geschasste Leipziger Bibliothekarin Edith Rothe erneut durch ihre Kollegen geehrt wurde, gibt einen Einblick in die überwältigende Schönheit der klösterlichen Handschriften. Sehr gut fotografiert und reproduziert, hergestellt natürlich bei VEB Offizin Andersen Nexö.
Herbert Sandberg: Der Weg
Herbert Sandberg (1908–1991) war einer der führenden Künstler der DDR, durchaus staatstreu, aber nicht unkritisch.
Sein “Weg” ist eines der schönsten Bücher des Jahres 1966 im deutschsprachigen Raum. Mit 70 Aquatinta-Radierungen wird der Lebensweg eines aus dem bürgerlichen Milieu stammenden KPD-Mitgliedes von der Weimarer Republik über den Faschismus bis in die DDR im wahrsten Sinne “nachgezeichnet”. Angefangen von Jugenderlebnissen in der Wandervogel-Bewegung, über den Eintritt in die KPD, die Angst vor den Schlägertrupps der Nazis und der Gestapo, Verhaftung und Verhör, die Brutalität der KZs, die Befreiung, die Verbindung von KPD und SED sowie den Wiederaufbau in der DDR.
Technisch (teils unvermeidlich), aber auch inhaltlich haben die Blätter etwas Holzschnittartiges, denn “der Weg” des KPD-Funktionärs stimmt allzu sehr mit dem SED-Lehrbuch über die (ihre!) Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung überein. Jedoch verleihen die persönliche Authentizität, die Eindringlichkeit der Darstellung sowie die meisterliche technische Ausführung dem Werk einen herausragenden Wert.
Interessant ist, wie neutral Sandberg die Spaltung der Arbeiterbewegung darstellt. Auf Blatt 34 (“Die Bresche”) kehren die Antifaschistische Aktion der KPD sowie die Eiserne Front der SPD und der Gewerkschaften sich gleichermaßen den Rücken zu und machen so den Platz für die SA-Horden frei. Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann hatte hingegen die Eiserne Front in unüberbietbarer Verblendung noch als “Terrororganisation des Sozialfaschismus” bezeichnet. Und auch in der SED-Historiographie waren es in Verkennung der historischen Tatsachen die “rechten Führer” der Sozialdemokratie, die den Weg zur “Aktionseinheit der Arbeiterklasse” verbauten.
Auch in der unsäglichen Formalismus-Debatte vertrat Herbert Sandberg eine unabhängige, der Staatsdoktrin gegenüber kritische Position.
Jens Gerlach / Gertrud Zucker:
Grünes Laub bunte Blätter Sonnenschein und Regenwetter
Hübsches und hochwertig produziertes Bilderbuch, das in einem bunten Reigen durch die Jahreszeiten führt. Dabei sind jedem Monat zwei bis drei Seiten mit Versen und Bildern zugeteilt.
Insbesondere gefallen die mit stumpfem Pinsel aufgetragenen, stimmungsvollen, abwechslungsreichen und viel Freude ausstrahlenden Bilder in Öltechnik von Gertrud Zucker (*1936), einer der profiliertesten Illustratorinnen der DDR.
Die Verse von Jens Gerlach (1926–1990) wirken nicht immer ganz flüssig. Und die glorreiche Verbrüderung zwischen Bürgermeister, Arzt, Büroangestelltem und Studenten mit der Volksarmee beim Einbringen der Ernte kann der Verfasser sich nicht verkneifen.
Ein Blick nach Österreich
Die schönsten Bücher Österreichs 1966
Hauptverband des österreichischen Buchhandels, Wien
In diesem Jahr befand sich der österreichische Buchmarkt genau am Schnittpunkt zwischen der Tradition, die von Katholizismus, Volkstümlichkeit und Brauchtum bestimmt war, und der Moderne, die sich über all dies hinweg setzte.
Stellvertretend für diese Strömungen stehen die prämierten Werke “Die Herrlichkeit des Ewigen. Die geistliche Lehre Schwester Elisabeths von der Heiligsten Dreifaltigkeit” auf der einen Seite und “Ernst Fuchs: Architectura Caelestis” auf der anderen Seite.
19 von 94 eingereichten Bücher wurden ausgezeichnet.
Erika Neubauer: Lustgärten des Barock
Schwerpunkt der Darstellung ist Wien, denn es "spiegeln sich alle mitteleuropäischen Barockgärten in den Wiener Gärten dieser Zeit", so sieht es natürlich die österreichische Autorin. Es werden aber auch einige Gärten aus anderen Ländern vorgestellt, so z. B. die Mainzer Favorite (mehrmals falsch als „Favorita” geschrieben).
Es handelt sich um sehr schön ausgestattetes Buch, sinnigerweise im (eher kleinen) Querformat aufgelegt. Es ist praktisch gegliedert, hat einen fachkundigen, aber verständlichen Text (wo es nicht allzu theoretisch wird) und ein luftiges Layout.
Das Werk ist großzügig illustriert, vielfach in Farbe. Kurz: ein intellektueller und Sinnengenuss, ganz wie das Thema des Buches.
Hochgeladen am 9. Oktober 2016; zuletzt aktualisiert am 26. Juli 2023.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Antiquariat Ballon + Wurm (Auswahlheft BRD), Das Buchuniversum, Neuss (Bergengruen), Antiquariat Paff (Kupfer), Bücherpanorama Marienberg (Grünes Laub), Kerzemichel, Wittenberge (Auswahlheft DDR), Antiquariat Maiwald, Langen (Buchmalerei), Antiquariat an der Moritzburg, Halle (Deubener Blätter), Antiquariat Buchseite (Gärten).