1985 bahnte sich eine epochale Wende an. In diesem Jahr wurde Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Nun blieben noch 5 Jahre bis zur Auflösung der Sowjetunion. Klangvolle Begriffe wie Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umbau) wurden in dieser Zeit gebildet. Je nach Sichtweise zerstörte Gorbatschow damit den glorreichen “realexistierenden Sozialismus” und verursachte den Sturz der einzigen Supermacht, die den kapitalistischen USA Paroli bieten konnte, oder er verhinderte eine Katastrophe und einen möglichen Weltkrieg, den der unvermeidliche Niedergang der Sowjetunion zur Folge hätte haben können.
Das Ereignis in der politischen Kultur der Bundesrepublik war die bahnbrechende Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai. Weizsäcker versuchte den Bundesdeutschen zu erklären, dass sie am 8. Mai 1945 keine Niederlage erlitten hatten, sondern befreit wurden. Die Rede löste heftige, aber gesunde Kontroversen aus. Es war eine Zeit, in der noch hart diskutiert werden konnte, ohne den politischen Gegner zu verunglimpfen, ethisch-moralisch zu ächten und aus der Gemeinschaft auszuschließen. Die heute (2020) als eines der Instrumente dazu benutzten, meist anonym geführten Hetzkampagnen über das Internet, um maximal mögliche “Empörung” hervorzurufen, waren schlichtweg noch nicht möglich.
Ein anderer Deutscher befand sich erst am Beginn seines Aufstiegs. Der ehemals links-militante Straßenkämpfer Josef “Joschka” Fischer wurde der erste grüne Minister in Deutschland. Fischer wurde (natürlich) Umweltminister in der rot-grünen Landesregierung, die in Hessen unter demselben Ministerpräsidenten Holger Börner etabliert wurde, der kurz zuvor solche Demonstranten und “Krawallmacher” noch mit der “Dachlatte” angehen wollte. Joschka Fischer jedenfalls hatte noch einen weiten und steilen Weg vor sich.
Wer aber in unserem Land alle Herzen höher schlagen ließ und das für unmöglich Gehaltene wahr machte, dass ein Deutscher jemals Wimbledon gewinnen könne, war der 17-jährige Boris Becker. Vorher hatten es nur die legendären Gottfried von Cramm und Wilhelm Bungert bis ins Finale geschafft, aber verloren, Bungert zuletzt 1967 gegen den Australier John Newcombe. Beispiellos war aber auch der sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehende persönliche Absturz des Boris Becker bis hin zu Insolvenzverfahren, Gerichtsprozessen und Verurteilungen.
Die schönsten Bücher
der Bundesrepublik Deutschland 1985
Das Auswahlheft des Jahres 1985 hatte einen vom Offenbacher Grafikdesigner Kurt Wolf genial gemachten Einband, der in seiner Qualität und Machart an das Heft von 1971 erinnerte, damals von Brigitte Willberg gestaltet. Der grüne Schatten beruht zwar auf Lichteinwirkung, wirkt aber fast als gewollt und macht das Design noch ein bisschen besser.
Die silbernen Rechtecke symbolisieren die ausgezeichneten Bücher, auch in der Anzahl. Damit ist der Entwurf also wiederverwendbar, was aber leider nicht geschehen sollte. Sehr schön auch das angedeutete Register am rechten seitlichen Rand.
Auch von Studenten der Hochschule für Kunst und Musik in Bremen waren wie 1983 wieder einige Umschlagentwürfe als „Semesterarbeiten” vorgelegt worden. Die angeblich vier schönsten sind im Katalog abgebildet. Man habe deshalb keinen von diesen genommen, weil man dem Gestalter des Kataloges die Möglichkeit habe geben wollen, das komplette Buch durchgehend zu designen. Das dürfte zumindest nur ein Teil der Wahrheit gewesen sein, denn die Gestaltungsentwürfe der Studenten sind grauenhaft schlecht.
Die Reproduktionen der Bücher (in der Regel drei bis vier Seiten, wozu auch der Umschlag oder Einband gehören konnte) waren zwar technisch hervorragend gemeistert, aber wieder komplett auf Schwarz-Weiß zurückgestellt. Das war
sehr schade. Farbreproduktionen kosteten damals richtig Geld und erforderten „besonders großzügige Spenden” (S. 12), die offenbar in diesem und in den folgenden Jahren ausblieben. Aber der Katalog war das wichtigste Organ des Wettbewerbes und hatte bleibenden Wert. Da hätte man besser bei den vielen anderen Werbemaßnahmen sparen sollen.
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Geschäftsführers der Stiftung, Wolfgang Rasch, der Katalog des Vorjahres sei „durchgehend farbig illustriert” gewesen. Tatsächlich war nur etwa ein Drittel der Abbildungen farbig.
Das Vorwort übernahm der neue Vorsitzende der Stiftung Buchkunst, der Verleger Wulf D. von Lucius (*1938). Und wie man es von solch einer Person erwartet, trägt er es auch vor: stilvoll und mit getragenen Worten, auch nicht ausufernd und schwafelnd wie bisweilen seine beiden unmittelbaren Vorgänger. Da schrieb auch ein richtiger Bibliophiler, der zu dieser Zeit noch nicht nachvollziehen konnte, dass „in schwer nachvollziehbarem Zukunftsüberschwang Milliarden in elektronische Informationstechniken investiert” wurden...
Dann kommt die Einleitung des Geschäftsführers Rasch, der zunächst zum wiederholten Male über die vielen Einsendungen jammert (ob das motivierend für die erhofften Neulinge des nächsten Jahres war?). Den Sprung von 620 auf 647 hält er für exorbitant. Durch eine Neuorganisation der Vorjury habe man diese Zahlen aber in den Griff bekommen.
Die Zahl der Einsender, also der einsendenden Verlage oder anderen Institutionen, nahm von 205 auf 242 zu. Über 100 Einsender hätten zum ersten Mal teilgenommen, worüber Rasch einigermaßen jubelt. Dabei verkennt er, dass es gleichfalls bedeutet, dass viele Einsender der vorherigen Jahre, die oft nur einmal eingereicht haben, sich nicht mehr und wahrscheinlich nie mehr beteiligen. Woran das lag, nämlich an der oft unverständlichen Auswahlverfahren, wurde hier auf diesen Seiten des Öfteren beschrieben.
Der aktuelle Jahrgang habe eine „höhere Qualität als frühere Jahrgänge“ gehabt, was als Pauschalurteil überrascht. Besser als alle vorhergehenden Jahrgänge? In jeder Hinsicht? In welcher Hinsicht genau? Darüber vermisst man leider jegliche Auslassungen. Der frühere Geschäftsführer Hans Peter Willberg hätte wohl ein, zwei Seiten darüber geschrieben.
52 Titel wurden ausgewählt. Davon waren nur noch 7 nicht im Filmsatz hergestellt.
Was nicht erwähnt wird (und in den vielen Jahrgängen des Wettbewerbes nie erwähnt wurde), dem Chronisten aber auffällt: 1985 wurden wieder viele sehr teure Bände ausgezeichnet, zum Beispiel zu Preisen von 3200 DM und 450 DM. Die immer wieder hervorgekehrte Behauptung der Stiftung, es gehe bei dem Wettbewerb um die Förderung des Massenmarktes durch entsprechende Vorbilder, wurde dadurch ad absurdum geführt.
Ein anderes, damit teilweise auch zusammenhängendes Problem waren die Kleinstauflagen der sogenannten “Pressen” und “Selbstverlage”. Neben der grundsätzlichen Frage, wie hier eine Vorbildfunktion entstehen kann, war in vielen Fällen eine räumliche und wohl auch personelle Nähe zur Stiftung Buchkunst gegeben. So waren die drei 1985 ausgezeichneten Selbstverlage zwei mal direkt in Frankfurt und ein Mal in Kelkheim (10 km vom Frankfurt entfernt) ansässig. Das ist nicht verboten, lässt aber unweigerlich bestimmte Vermutungen aufkommen.
Eine Premiere ist es, zum ersten Mal im Wettbewerb und das heißt seit 34 Jahren, Titel eines anderen Buchclubs als der Büchergilde Gutenberg auszuzeichnen: der Deutsche Bücherband war das mit gleich zwei Bänden und jeder fragte sich wohl, wie das passieren konnte. Dem Geheimnis kommt man schnell auf die Spur. Für den Bücherbund arbeitete jetzt Hans Peter Willberg, langjähriger Geschäftsführer der Stiftung Buchkunst. Er und zwei andere Gestalter brachten auch in den kommenden Jahren immer mal wieder ein oder zwei Titel des Deutschen Bücherbundes bei den Preisträgern unter – aber die Büchergilde Gutenberg räumte auch 1987 mit fünf Auszeichnungen ab (davon drei mal wieder Gestalter: Juergen Seuss). An der Dominanz der gewerkschaftseigenen Büchergilde im Wettbewerb und überhaupt an der Schwerpunktbildung bei einzelnen Verlagen und deren Mitarbeitern sollte sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.
Die ausgewählten Titel wurden auch immer größer in Format. Dabei hielt die Qualität nicht immer mit (siehe die traurigen Beispiele unten). Eines dieser Bücher zeigt par excellence, was beim Übergang von den späten 60ern und den 70ern in die 80er Jahre passierte. Michael Ruetz fotografierte einst für Spiegel, Stern und andere hochkarätige Magazine Rudi Dutschke und die Revolte der APO, seit 1979 veröffentlichte er Bücher über Goethes Reisen. Womit er mehr verdiente, wäre interessant zu erfahren.
Den Band von Ruetz im Verfasser- und Titelverzeichnis zu finden, ist übrigens gar nicht leicht, weil der eingangs von mir gelobte Layouter es wichtiger fand, wie die Buchstaben über die Seite verteilt sind, als den Leser zu unterstützen. Eine doppelte Paginierung auf dem Rand jeder Seite (eine für die Seite, eine für die Nummer des Buchs) ist ebenfalls eine Idee, die mehr verwirrt als hilfreich ist.
Wolfgang Borchardt: Vivian
Zu dem abwechslungsreichen und sicher auch erfüllten Leben des Schriftstellers Rudolf Borchardt (1877–1945) gehörte eine Episode in Nassau an der Lahn, wo er sich als junger Mann in einem Sanatorium aufhielt und sich unglücklich verliebte.
Briefe und Gedichte an die Angebetete, alle möglichen Entwürfe, Nachwort und Anmerkungen füllen diesen handwerklich außerordentlich gut gemachten Band, der bei Cotta erschien und von der Deutschen Schillergesellschaft entworfen wurde, klassisch ohne Schutzumschlag.
Hier wird so einiges bewiesen: Dass sich der Rücken eines Buches nicht verziehen muss, wenn man es liest. Dass die Zeilen nicht in den Mittelfalz der aufgeschlagenen Doppelseite laufen müssen. Dass mit Filmsatz ein schönes und ausgewogenes Schriftbild möglich ist. Gewählt wurde die Schrift Bembo aus der Linotype 202.
Ob jede, auch private Zeile eines Schriftstellers, jeder Entwurf, irgendwann mal veröffentlicht werden muss, kann man hinterfragen. Borchardt machte aber selbst den Anfang, als er – 20 Jahre nach seiner unerwiderten Schwärmerei berühmt geworden – von seiner Bekanntschaft seine Gedichte für sein nächstes Buch erbat, allerdings in ausgesuchter Höflichkeit.
Gottfried von Straßburg: Tristan
Das handwerklich eigentlich sehr schön gemachte Buch enthält den Text des Tristan in Neuhochdeutsch und den Originaltext in Mittelhochdeutsch.
Das kann man ja nur aus dem Grund machen, dass der Leser vergleichen kann. Der Buchgestalter dieses Werkes dachte aber nicht zuallererst an das Lesen, sondern an die graphische Gestaltung der Seiten. Deshalb fand er es langweilig, beide Texte einfach gegenüberzustellen. Er dachte sich etwas anderes aus. Den in heutiges Deutsch übertragenen Text setzte er in gut lesbare 11 pt, den mittelalterlichen Text in winzige 8 pt. Wer liest denn sowas Altes schon, dachte sich wahrscheinlich der Designer. Manche wollen es aber vielleicht schon und haben dann Mühe, es zu tun, zumal das Mittelhochdeutsche nicht nur an sich schon schwerer zu verstehen ist, sondern auch noch einige ungewöhnliche Buchstaben hat.
Zu allem Verdruss sind die beiden Textblöcke auch noch weit auseinandergerückt und das Mittelhochdeutsche in der winzig kleinen Schrift hat (absolut) einen anderen Zeilenabstand als das Neuhochdeutsche bekommen, so dass immer nur die jeweils ersten Zeilen auf derselben Höhe liegen. Je länger die Strophe ist, desto weiter rutschen die sinngleichen Zeilen des Mittelhochdeutschen nach oben, so dass das Auge ständig suchen muss, um die gewünschte Zeile zu finden.
Was hat sich also die Jury dabei gedacht, ein Buch als eines der 52 schönsten von 57.623 im Jahre 1985 in der BRD aufgelegten Titeln auszuwählen, das dem Leser einen so miserablen Dienst erweist?
Nicht nur in diesem Fall hat man über all die Jahre vor allem des bundesdeutschen Wettbewerbes das Gefühl, dass es um alles Mögliche und Unmögliche ging, aber allzu oft nicht um den Leser.
Ein weitaus größerer Schrecken erwartet uns aber beim nächsten “schönsten” Buch.
Michael Ruetz: Goethes italienische Reise. “Auch ich in Arkadien”.
Mit diesem Band versuchte der Hanser Verlag, an den Erfolg des 1979 in der Schweiz als eines der schönsten Bücher ausgezeichneten Titel des Artemis Verlags „Mit Goethe in der Schweiz”. Warum das katastrophal scheiterte, wird im Folgenden kurz beschrieben.
Michael Ruetz (*1940) macht den auf diesen Seiten schon mehrfach angesprochenen Fehler, romantische Stimmungen durch Dunkelheit ausdrücken zu wollen. Dabei beziehen sich nicht alle Tagebuch-Eintragungen, die Goethe in der Regel abends machte, auch auf eine abendliche Situation. Und selbst wenn es in einigen Fällen so war, ist es doch nur sinnvoll, diese Tageszeit zu reproduzieren, wenn das Ergebnis auch stimmt. Aber viele Fotos versinken in einem trüben Dunkel. Schwarz überlaufene, riesige Schattenpartien sind keine Seltenheit. Einige Bilder sind auch gut, andere eine Zumutung (Seite 123, 133). Die meisten Fotos sind nicht besser als Schnappschüsse eines Touristen, der soeben die Kamera gerade halten konnte.
Beispielhaft für die „Qualität“ der Fotoarbeiten in dem handwerklich sonst ausgezeichnet gemachten Band ist das Bild auf dem Schutzumschlag: die „Pyramide des Cestius” und drumherum ein einziges düsteres Durcheinander. Auch der Einsatz des Weitwinkels gefällt hier nicht, weil die Grube im Vordergrund so stark aufgerissen wird. Noch schlimmer anzusehen ist die größere Version auf S. 78/79.
Ein Schlüssel für das, was einem hier vorgesetzt wird, könnte in dem Wort „Kodak” liegen, das bei Wikipedia in der Liste der Auszeichnungen dieses Buches auftaucht. Schattenpartien auf einem Kodachrome-Dia zu digitalisieren (falls der Repro-Dienstleister das 1985 schon so machte) und zu drucken ist nicht einfach, wie der Chronist aus eigener Erfahrung weiß. Zudem wurde hier das Ausgangsformat des Kleinbild-Dias für den Band im Überformat vielfach sehr groß aufgezogen, worunter Schärfe und Farbnuancen – so es im Dunkel überhaupt welche gab – leiden.
Auf diese Schwierigkeiten hätte sich ein professioneller Verlag einstellen können, statt scheinbar bei den Namen Michael Ruetz, der in den 60er und 70er Jahren große Verdienste mit Fotoreportagen errungen hatte, in Ehrfurcht zu erstarren. Bei seinen Auftragsarbeiten für praktisch alle großen Magazine der BRD und der USA hatte Ruetz allerdings auch eine ganz andere Technik eingesetzt.
Dass Michael Ruetz (natürlich) Landschaften und Architektur fotografieren konnte, hatte er in dem erwähnten Buch „Mit Goethe in der Schweiz” unter Beweis gestellt. Sieht man sich das noch mal an, erkennt man aber, dass er sich auch dort in Schwarz-Weiß am wohlsten fühlte und bei den wenigen Farbaufnahmen düstere Lichtverhältnisse präferierte, sie allerdings ästhetisch ansprechend umsetzte.
Der damals für „Auch ich in Arkadien” verlangte Preis von 148 DM für dieses Werk ist unfassbar. 2020 erhält man ein neuwertiges Exemplar im Schuber für schlappe 9 €. Der antiquarische Markt hat ein untrügliches Gespür für die tatsächliche Qualität eines Buches. Für den Chronisten jedenfalls ist es der ersten Band von allen hier besprochenen, der mit seinen fast 2 Kilo gleich auf den Speicher wandert.
Raum Zeit Stille.
Ausstellung zum Jahr der Romanischen Kirchen in Köln.
Von einer Ausstellung zum Jahr der romanischen Kirchen hätte man sich Exponate gewünscht, die auch mit dem Thema zu tun haben. Architektur, Ausstattung, Geschichte – irgendetwas. Auf die Idee, “gegenstandsfreie Arbeiten” zeitgenössischer Künstler zu präsentieren, musste man erst mal kommen. Noch unverdaulicher wird der Band durch die teilweise ausufernden Beiträge der Kunsthistoriker.
Der Einband hat so viele Fehler, von denen das schief angebrachte Titelband nur der augenscheinlichste ist, dass die Wahl dieses Buches gegenüber jedem anderen ausgeschiedenen Kandidaten ein Affront ist.
Weitere Mängel sind ein zu weit in den Mittelfalz laufender Text (bei riesigem Außenrand), was auch bei anderen Büchern in den letzten Jahren häufig zu beklagen war.
Ein weiterer Fehler, der scheinbar damals als “Stilmittel” unter Buchgestaltern kursierte, war, eine Abbildung fast so klein wie eine Briefmarke mitten auf eine weiße Seite zu plazieren. Dies geschieht auf S. 68 mit zwei Fotos, die Mark Rothko ausgerechnet vom Innenraum einer Kapelle machte. (Es sei denn, die Hässlichkeit der Installation sollte durch die Verkleinerung der Fotos abgemildert werden.)
Auf den Bleistiftskizzen von Joseph Beuys (es fällt schwer, das Wort “Kritzeleien” zu vermeiden) ist kaum etwas zu erkennen (zum Beispiel S. 120), was ein Reproduktionsfehler zu sein scheint. Wenn nicht, hätte man darauf verzichten sollen. Das Gleiche gilt für die “Partituren” von John Cage.
Hans Gercke (Hg.): Der Baum
Das Buch ist ein erweiterter Katalog der Ausstellung „Bäume”, die 1985/86 in Heidelberg und Saarbrücken stattfand.
Die Exponate der Ausstellung selbst gehörten alle der „zeitgenössischen Kunst” an, nehmen etwa das letzte Drittel des Werks ein und sind in großen Teilen belanglos. Wohl deshalb dachte man daran, beträchtliche Erweiterungen vorzunehmen, um den Katalog für teures Geld verkaufen zu können.
Ein paar Seiten widmete man – damals unvermeidlich – dem „Baumsterben”, das bekanntlich nie eintrat.
Die ersten beiden Drittel des Buches befassen sich hauptsächlich mit dem Baum „in Mythologie und Kunstgeschichte” und sind in Wort und Bild ungemein lehrreich und informativ
Verlag und Buchgestalter hätten aber aus dieser Thematik mehr machen können, nein müssen.
Fast durchgängig wurden Schwarz-Weiß-Abbildungen (bei diesem Thema!) auf billigem, recyceltem Papier angefertigt. Umweltschutzpapier zu verwenden, ist bei diesem Katalog so was vordergründig, reine Effekthascherei.
Die Abbildungen sind nicht nur oft sehr klein (mehrfach sieht man Stadtpläne auf einige Quadratzentimeter verkleinert), sondern manchmal geradezu dramatisch schlecht. Ein Beispiel ist der Kupferstich „Wallpromenade Leipzig” auf Seite 179. Hier wurde offenbar als Vorlage nicht das Original genommen, sondern eine Reproduktion, die an sich schon schlecht war. Für einen Kunstkatalog ein Unding.
Unangenehm fällt auch das selten unruhige Layout auf.
Das Paperback kostete bei dieser missratenen Qualität unglaubliche 58 DM.
Horst Schiffler / Rolf Winkeler: Tausend Jahre Schule
Hier ist es vor allem eine phantastische Sammlung von gut bis hervorragend reproduzierten Gemälden über das Schul-(und Jugend-)Leben, die aus diesem auch sonst handwerklich ansprechend gemachten Band einen Genuss macht. Besonders gelungen ist auch die Auswahl aus dem 20. Jahrhundert.
Das Bild auf dem Schutzumschlag ist in seiner eher graphischen Ausrichtung allerdings untypisch für die anderen Illustrationen, was immer ein Manko ist. Die Auswahl für die 2. Auflage mit dem einsam und gequält in einer Schulbank hockenden Nachsitzer fiel allerdings noch unglücklicher aus und erinnerte sehr stark an den Titel, der wörtlich genommen für wohl alle Kinder ein Alptraum wäre.
Der Text hätte noch mal Korrektur gelesen werden können.
Der Wettbewerb in der DDR
Die schönsten Bücher der DDR 1985
Nachdem man es eine Zeit lang nicht mehr so häufig gelesen hatte, wurde im Vorwort jetzt wieder regelmäßig auf die Bedeutung des Sozialismus für die Buchkunst hingewiesen. Wie letztes Jahr kam die ehrenvolle Aufgabe dem Vorsitzenden des DDR-Börsenvereins Jürgen Gruner zu, diesmal mit einem ungewöhnlich langen Beitrag – und wie letztes Jahr wirkte es nicht mehr als eine Pflichtübung. Die Aussage, der Sozialismus würde die Beschäftigung mit so angenehmen Dingen wie schönen Büchern ermöglichen, wirkte unglaubwürdig. In der kapitalistischen BRD war es ja ebenso, um das Mindeste zu sagen.
Die wie immer hochkarätige Jury, die sich nach wie vor auf umfangreiche Zuarbeit einer zahlenmäßig fast riesigen Vorjury stützen konnte, hatte diesmal 49 Bücher aus 226 vorgelegten Titeln ausgewählt. Im Vorjahr waren es 50 von 237. In diesen Regionen lagen auch die Zahlen in den Vorjahren.
Die nationale Buchproduktion wurde mit rund 6400 „Erst- und Nachauflagen” (DDR-Jargon) angegeben, was ebenfalls einem unveränderten Niveau entsprach. Auch der Abstand zur BRD blieb jetzt etwa gleich, obwohl er immer noch sehr groß war: die bundesdeutschen Verlage veröffentlichten 1985 exakt 57.623 Titel in „Erst- und Neuauflage” (BRD-Jargon; es ist nicht nur ein sprachlicher Unterschied), also exakt 9 mal so viel wie die DDR-Verlage, bei einer rund 5 mal so hohen Einwohnerzahl. Allerdings stagnierte seit 1979 auch in der BRD dauerhaft die Titelproduktion nach dem rasanten Anstieg der Jahrzehnte zuvor.
Die „Materialökonomie” (Sparsamkeit) wird im Vorwort nur noch zwei mal dezent erwähnt. Entweder hatten die deutlichen Ermahnungen der Vorjahre gewirkt oder man verfügte wieder über mehr Geld.
Insgesamt wurden – wie jedes Jahr und nicht anders zu erwarten – auf praktisch allen Gebieten der Buchproduktion Fortschritte herausgestellt, besonders da, wo technische Weiterentwicklungen zugrunde lagen. Mängel wurden hier und da vermerkt, wobei ähnlich wie in der BRD die Probleme mit dem Fotosatz sehr andauernd und zäh waren. Im Katalog des BRD-Wettbewerbes waren die Berichte über Einzelheiten der Buchproduktion und deren kritische Würdigung ja seit dem Ausscheiden von Hans Peter Willberg Ende der 70er Jahre weitgehend eingestellt worden, während seitdem vor allem die Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit breitesten Raum einnahmen. Zugespitzt könnte man sagen: kapitalistische Warenästhetik – mehr Schein als Sein.
Dieser Jahrgang des DDR-Kataloges hatte zum letzten Mal den unmöglichen Umschlag. Bald würde es gar keinen mehr geben.
Wir vergeh’n wie Rauch von starken Winden.
Deutsche Gedichte des 17. Jahrhunderts.
In dieser zweibändigen Edition (abgebildet ist der Schuber) gibt es keinen Firlefanz, keine Spielereien mit dem Layout, keine überflüssigen Neuentwicklungen des Gegenstandes “Buch”. Einfach nur gut lesbar gesetzte Schrift, damit man sich auf den Inhalt konzentrieren kann, der dieses auch lohnt.
Buchbinderisch solide, Papier wertig, Einband edel. Ärgerlich nur der wie so oft bei DDR-Büchern lappige und nicht passen wollende Umschlag, dessen Schrift auch noch nach links bis auf den Buchrücken verrutscht ist...
Der Titel entstammt dem Gedicht “Menschliches Elende” von Andreas Gryphius. Die in die Anthologie aufgenommene Lyrik ist in ihrer Thematik nicht nur vom 30jährigen Krieg geprägt, sondern widmet sich allem, was menschliches Glück und Unglück ausmacht. Häufig der Liebe. Wie wenig sich die Menschen doch über die Jahrhunderte geändert haben.
Die Gedichte sind mit mehreren Indizes, einem Kommentar des Herausgebers, des aufrechten DDR-Germanisten Eberhard Haufe (1931–2013), und einem breiten Anmerkungsapparat sehr gut erschlossen.
Insgesamt eine beachtliche Leistung, die auch durch eine Parallelausgabe bei C. H. Beck in München gewürdigt wurde.
Die Tretjakow-Galerie
Die Seitengestaltung des vom kleinen, aber feinen Kunstverlag E. A. Seemann produzierten und handwerklich hervorragend gemachten Bandes ist ungewöhnlich. Auf den ersten Blick sieht das lichte Layout schick und modern aus, aber dann fragt man sich, warum bei einem Kunstband so viel freier Platz für weiße Fläche verschwendet wurde.
Die Gemälde sind in der Regel passabel reproduziert, manchmal aber auch schlecht (siehe Beispiel unten). Die Detailvergrößerungen fallen häufig farblich ab. Das hat der Verlag selbst bemerkt und entschied wohl deshalb, viele Detailvergrößerungen in Schwarz-Weiß wiederzugeben, wodurch sie allerdings ihren Sinn verlieren.
Die Texte der sowjetischen Kunsthistorikerin Ida Gofman sind kenntnisreich, verständlich und in prägnanter Kürze. Nicht so wie die mäandernden kunsthistorischen Abhandlungen in den BRD-Katalogen, deren Autoren nur für ihre Ingroup schreiben und sich am eigenen Abstraktionsniveau berauschen. Abstriche an der Qualität der Erläuterungen von Frau Gofman muss man nur bei ihren didaktischen Überlegungen zu den heldenhaften Darstellungen der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution” machen, die oft Jahrzehnte später noch Thema für viele Künstler der UdSSR war.
Tatjana Nilowna Jablonskaja: Der Morgen (1954)
Links aus dem Katalog gescannt, rechts bei Pinterest gefunden. Digitale Reproduktionen tendieren oft zu übermäßig leuchtenden und gesättigten Farben.
Die rechte Verson scheint dem Original aber wesentlich näher zu kommen.
Ein Blick nach Österreich
Die schönsten Bücher Österreichs 1985
Die österreichische Jury wählte aus 104 eingereichten Titeln (1984: 98, 1983: 111) wieder die vorher schon festgelegte Anzahl von 12 Preisträgern aus. Die Vorjury hatte aus den Zusendungen schon 40 Titel in die engere Auswahl gezogen.
Das ist eigentlich alles, was man vom Wettbewerb erfährt, außer der Anzahl der Sitzungstage.
Interessant ist im Vergleich zum Beispiel mit der BRD, wie dort eine etwa gleiche Anzahl von Juroren und Vorjuroren in einer etwas geringeren Anzahl von Sitzungstagen (Hauptjury BRD 4 Tage, Hauptjury Austria 6 Tage) eine vielfach größere Anzahl von Titeln abarbeitete: in der “Endausscheidung” BRD 400 Titel, Austria 40 Titel.
Allerdings schrieben die bundesdeutschen Juroren auch im Vorwort ihres Kataloges, wie sie sich “quälten”, wie sich “bemühten”, wie sie “anzweifelten und revidierten”. Das schrieben die Österreicher nicht. Ob die dasselbe dennoch taten oder nicht taten, weiß man nicht.
Wilhelm Holzbauer: Bauten und Projekte 1953–1985
Ein handwerklich in jeder Hinsicht erstklassig gemachtes Buch, wie es sich bei einem Titel auch gehört, der dem Architekten Wilhelm Holzbauer (1930–2019) gewidmet ist.
Gottseidank waren nicht alle Projekte von Holzbauer in dem monumentalen, fast bunkerartigen Stil, wie das Vorarlberger Landhaus (= Landtag) auf dem Umschlag. Anderes hätte man am liebsten gar nicht gesehen, wie die grässliche Einkaufsstraße auf S. 95.
Holzbauer bewältigte mit seinem Team auch riesige Projekte, bei denen fast ein
Abbildung aus besprochenem Band.
ganzes Stadtviertel gebaut wurde, wie die Siedlung “Wohnen Morgen” in Wien, oder solche umfangreichen Gebäudekomplexe wie die beiden letzten im Buch, die man nur als herausragend bezeichnen kann: Die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg und Oper/Rathaus Amsterdam.
Die Bauzeit des Komplexes in Amsterdam dauerte 20 Jahre. Die Hindernisse, die zu überwinden waren, waren unglaublich. In einer historischen Radioaufnahme des österreichischen Mittagsjournals aus dem Jahre 1986 ist Holzbauer selbst dazu zu hören (ab 43:14).
Der Aufwand hat sich gelohnt, wie der Chronist selbst bei einem Besuch Mitte der 90er Jahre mit anschließendem Opernabend feststellen durfte.
...was macht die Schweiz?
Die schönsten Schweizer Bücher 1985
Die Anzahl der zum Wettbewerb eingereichten Bücher ging drastisch auf 238 zurück. 1983 waren es noch 291 gewesen (1984 liegt dem Chronisten leider nicht vor).
Der Jury-Vorsitzendes Dr. med. Hans Rudolf Bosch verliert keine Worte darüber, auch über sonst nichts, was mit dem Wettbewerb zu tun hat, beschreibt aber ausführlich, welche gesellschaftlichen Ereignisse die Sitzungen der Jury begleitet haben, angefangen von einem “anregenden Atelierbesuch” bis hin zu einem “herrlichen Mittagessen bei ausgesuchten Weinen im Festsaal der Villa Maison de Mon Repos” in Lausanne.
Das eigenartigste Vorwort der vielen Jury-Berichte aus allen vier Ländern, die der Verfasser gelesen hat.
Eins muss dann aber doch sein, wahrscheinlich aus staatspolitischen Gründen: die Aufteilung der 34 Preisträger auf die Regionen. “20 deutschsprachige, 13 aus der Suisse Romande und 1 aus dem Ticino. Das Fehlen von schönen Erzeugnissen aus Romanisch-Bünden wurde allgemein bedauert.” Bei ausgesuchten Weinen.
Das Auswahlheft hatte jetzt eine graphisch sehr stimmige Illustration auf dem Einband, der sich durch einen Fehler (?) auf der Seite 1 in Schwarz-Weiß wiederholt. Im Innenteil druckte man weiterhin nur die Miniaturbildchen der Bücher.
Lydia Harambourg:
Dictionnaire des peintres paysagistes français au XIXème siècle
Hier ist es vor allem die gewaltige editorische Leistung, die wohl die Juroren beeindruckt hat. Hinzu kommen eine äußerst solide und haltbare Herstellung sowie ein sehr übersichtliches Layout.
Das Lexikon verzeichnet über 3000 Künstler mit über 1000 Reproduktionen, davon aus finanziellen Gründen aber nur wenige in Farbe.
Satte 240 Franken, also rund 250 DM, kostete das in optimistischen 3000 Exemplaren gedruckte, weit über 2 Kilo schwere Werk, aufgelegt natürlich vom Kunstdruckverlag Ides et Calendes aus Neuchâtel. Der Chronist erstand es perfekt erhalten von einem Antiquariat aus Nancy.
Jean-Philippe Arm / Jean-Jacques Grezet:
Nos métiers de la terre. Deux volumes.
Die Jury entging zwar der Unterschied von landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen, hatte aber ansonsten völlig Recht, wenn sie über “Unsere Berufe der Erde” schrieb:
“Dank eines nüchternen, eleganten, effizienten Layouts und qualitativ hochwertiger Reproduktionen erweckt dieses zweibändige Werk das traditionelle Handwerk wieder zum Leben.”
Die Fotos von Jean-Jacques Grezet sind in vielen Fällen dokumentarisch, manchmal haben sie aber auch geradezu dramatische Wucht wie die über die Hirten.
Vertreten sind die typischen erdgebundenen alten Berufe, einige sind aber auch überraschend und fast skurril, wie zum Beispiel der Maulwurfsfänger oder der Absinthdestillateur.
Die Bände erschienen auch auf Deutsch.
Erstaunlich, dass die Jurys der anderen Länder, insbesondere die bundesdeutsche, sich fortgesetzt weigerten, solche Urteile über die Preisträger wie das oben zitierte zu verfassen.
Hochgeladen am 1. November 2020. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.
Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher wurden geliefert von: Buch-Galerie Silvia Umla (Auswahlhefte BRD und DDR), InternetBuchhandlung A. Bell, Wuppertal (Vivian), Krull GmbH (Baum), Elops, Bad Windsheim (Tristan), Antiquariat Ballon + Wurm (Wie Rauch), Biblio Industries Haezeleer (Kolo Moser), Librairie Alphabets, Nancy (Peintres français). Bouquinerie du Varis, Russy (Metiers).