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John Updike
Hasenherz / Rabbit, run

John Updike: Hasenherz
John Updike: Rabbit, Run
hasenherz_fischer

1988 las ich die deutsche Version von „Rabbit, run” und machte folgende Aufzeichnungen:

„Verantwortung ist das Thema dieses Buches. Und die Flucht vor der Verantwortung. (...)

[Rabbit ist] jemand, der so schwankend ist, so gern sich aus der Verantwortung stiehlt, so auf sich bezogen, so – letztlich auch – unreif ist. Aber auch sehr sensibel ist. Und Rabbit sieht in glücklichen Momenten das Wesen der Dinge, er sieht tiefer als andere.

Verantwortung heißt auch, und das ist eine der zentralen Thematiken: sich ins Alltagsleben einfügen mit seinen Langweiligkeiten, kleinen Konflikten und kleinen, stillen Schönheiten. Aber Rabbit ist immer auf der Suche nach dem großen Gefühl, dem Gigantischen, Umwerfenden. Dieses Großartige findet er in der Beziehung zu Ruth. Aber auch hier kehrt Alltäglichkeit ein – und vor allem: Sprachlosigkeit, das Unvermögen, sich mitzuteilen, und eine Menge Unheil wird dadurch angerichtet.

Für ihn, für Rabbit geht es darum, zu einer Beziehung, zu einem Menschen zu stehen, mit seinen ganzen Fehlern, aber auch seinen ganzen kleinen Schönheiten, einfach seiner ganzen Realität. Und seine eigenen Stimmungsschwankungen ertragen zu können, es ertragen zu können, daß sie einmal nicht schön ist, daß er sie gar häßlich findet, daß er wochenlang nicht viel mit ihr anfangen kann, ohne gleich wegzulaufen (auch: innerlich).

Auch, daß sexuelles Interesse an einer Person auf- und abschwillt, wieder da ist, wieder vergeht. Das muss er lernen.

Und daß jemand, den man klein und dumm findet, auch eine eigene Person ist, Gefühle hat, die man verletzen kann, und sich Gedanken macht. Das ist mit das Tollste an dem Buch, wie Updike das Wechselspiel zwischen Rabbit und Janice aus wechselnder Perspektive beschreibt. Beeindruckend. Unter anderem geht es dabei auch um den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität. Der Mann, der seinen genitalen Trieb befriedigt, stolz ist auf seine Potenz, und die Frau, die dabei auch lieb gehabt werden will. Natürlich ist das vereinfacht, aber es scheint doch, daß das so ein Grundmuster ist: die Frau scheint ihre Sexualität mehr in ihre Person integriert zu haben.

Aber Rabbit (oder Updike) ist da in manchen Momenten noch sehr sensibel. Als Rabbit und Ruth das erste Mal zusammen schlafen, gelingt Updike so etwas wie die Schilderung einer Urszene zwischen Mann und Frau („ihre Nacktheit schwingt in Gezeiten aus Stein”). Zärtlich, eindringlich, sich-hingeben, das sich-ganz-nah-sein, aber auch die Erfahrung der Andersartigkeit des anderen. („Ihre Muskeln und Lippen und Knochen unter ihm pressen sich gegen seinen Leib wie ein neuartiges anatomisches System, wie das eines fremden Lebewesens. Sie wird durchsichtig für ihn, er sieht ihr Herz.”) Wenn Mann und Frau miteinander schlafen, ist es ein anderer Seinszustand.

Und frappierend dann die Schilderung, wie sich die sexuelle Beziehung zwischen Rabbit und Ruth ändert. Das Außergewöhnliche ihrer ersten Begegnung läßt sich nicht aufrechterhalten, weder was ihre Beziehung an sich betrifft, noch die sexuelle Seite. „Aber allmählich stellt sich heraus, daß er keineswegs so anders ist als all die andern, daß er genauso niedergeschlagen und liebeskrank an einem herumhängt und einen dann satt hat oder zumindest sich belästigt fühlt, wenn’s vorbei ist. Es geht auch immer schneller vorbei, es wird zur Gewohnheit, er wird regelrecht hastig”.

In einer Beziehung muss Sexualität auch ein Stück weit zur Gewohnheit werden, aber daß sie so entfremdet wird, und dann auch, wie für Ruth, entwürdigend, ließe sich wohl verhindern, wenn man sich auseinandersetzt und nicht nur sich selbst sieht. [...] –

Ein Meister ist John Updike übrigens in der Schilderung dessen, wie scheinbar tote, unbelebte Gegenstände unserer Lebensumwelt sich durch die Bedeutung, die sie für uns haben, beleben und verändern. Wie Dinge und Situationen ein Wesen, ein magisches Inneres haben, das wir Ihnen beimessen. – Das Beste, was ich seit langem gelesen habe.”

Peter Eisenburger, im November 1988.


Über John Updike

Wenn man John Updike vorstellen will, gibt es viele herausragende Werke, und ich habe alle gelesen. Einige der besten sind „Couples” (1968), „Roger’s Version” (1986) oder das famose Spätwerk „Villages” (2004). Oder eine der Sammlungen von wundervollen Erzählungen, am besten der bewegende und grandiose Band „My Father's Tears and Other Stories” (2009).
Aber jeder weiß: zuerst kommen die Rabbit-Romane.

„Rabbit, Run” (1960) ist der erste Teil der im Laufe von drei Jahrzehnten entstandenen Tetralogie. Es folgten „Rabbit Redux” (1971), „Rabbit is Rich” (1981) und „Rabbit at Rest” (1990).

Was Updike wie kein anderer Autor macht, ist die unerbittliche, gnadenlose Offenlegung der Schwächen und Fehler, der ganzen Erbärmlichkeit seiner Personen, aber auch wieder ihrer Liebenswürdigkeit. Ich glaube (im wahrsten Sinne), so sieht Gott die Menschen: voller Zorn, aber auch voller Barmherzigkeit und Liebe.

Der Stil ist schwer ins Deutsche, das einen ganz anderen Klang als Englisch hat, zu übersetzen. Jahrelang dachte ich, dass die Übersetzerin Maria Carlsson hervorragende Arbeit geleistet hat. Aber ein erster, nur punktueller Vergleich bei „Rabbit, Run” zeigt, dass sie sich doch einige Freiheiten herausgenommen hat. Einige Passagen sind geradezu entstellt. Das Zitat oben („Gezeiten aus Stein”) ist zum Beispiel frei erfunden und ersetzt mehrere, eigentlich viel schönere Sätze des Originals.

Bleibt also die Folgerung, Updike im Original zu lesen.

26. Juni 2021


Rabbit, run

Damit fing ich 2022 an.


Im heißen und trockenen Sommer dieses Jahres las ich “Rabbit, run”, dabei oft früh vormittags in Koblenz am Löhrrondell, gegenüber der Herz-Jesu-Kirche, beim zweiten Frühstück sitzend. Ich hatte antiquarisch eine schöne englische Ausgabe in der Ausstattung der amerikanischen Erstausgabe ergattert.

Die Lektüre traf mich wie der Schlag.

Die deutsche Ausgabe war interessant, ungewöhnlich, berührend. Aber das hier wirkt noch mal ganz anders, voller Dramatik, voller Wucht. Handlung und Sprache sind in sich viel stimmiger.

Die Sprachgewalt Updikes ist ungeheuer und wahrscheinlich unerreicht. Ich bin kein native speaker oder Anglist, um es fachlich beurteilen zu können, habe aber sehr viele englischsprachige Texte jeglicher Provenienz gelesen. Auf mich wirkt es, als wäre hier eine eigene, einzigartige Sprache geschaffen worden. Dass jemand mit 28 Jahren ein solches Werk schreiben kann, ist eigentlich gar nicht möglich.

Ich würde es heute anders besprechen, sicher lese ich es auch anders, verstehe manches anders oder besser, als ich es verstanden habe, als ich „Rabbit, run” (“Rabbit, flieh!”) mit meinen ebenfalls jungen 32 Jahren gelesen habe.

Die Menschen winden und wenden sich und versuchen vergeblich, ihrem Schicksal zu entfliehen. Für das Wort „Schicksal” kann man auch setzen: die äußeren Umstände eines Landes und seiner Kultur; die Konventionen, die sich daraus ergeben, was Vorfahren und Eltern vor einem bestimmten historisch entstandenen, gesellschaftlichen und regionalen Hintergrund erreicht haben – oder was ihnen eben misslungen ist; oder: die ererbten Gene und die Optionen, die diese ihnen verleihen oder nicht verleihen können; oder: der Platz, an den Gott die Menschen gestellt hat; vielleicht auch: auch der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen „richtigen” und „falschen” Entscheidungen, der die Menschen im Griff hat.

Dabei fällt Harry dadurch auf, dass er seine Gefühle ins Spiel bringt. Er will tun, was sich für ihn „gut” anfühlt – etwas, was eigentlich erst ab den 1980er Jahren aufkam und gesellschaftlich zunehmend akzeptiert wurde: dass Männer auch Gefühle haben und zeigen können (sollen). Ende der 1950er Jahre hingegen starrt Ruth ihn entgeistert an: „Who cares what you feel?”

So viele Szenen ließen sich hervorheben. Die Passage, in der Janice sich betrinkt und ihr Baby verliert, ist sicher schriftstellerisch eine der besten, packendsten und aufrüttelndsten der Weltliteratur – wie das ganze Werk.

Zu den Motiven, die Updike immer wieder bearbeitet, vielleicht das Motiv für ihn, gehört die Suche nach Glückseligkeit. Eine der Schlüsselszenen dabei ist die Diskussion mit dem Priester auf S. 132/133, dem Harry erklärt, in seiner Ehe mit Janice habe einfach etwas gefehlt. John Eccles, der reformierte Pfarrer antwortet ihm perplex: „Christ sein bedeutet nicht, den Regenbogen zu suchen.” Er fügt hinzu: „We’re trying to serve God, not to be God.”

Jetzt muss ich was zur schönen Maria Carlsson schreiben, um die sich die großen Männer des deutschen Literaturbetriebs der 1960er Jahre nur so rissen.

Die Übersetzung abschließend zu beurteilen, ist schwierig, da der amerikanische Text mehrmals revidiert wurde, sowohl vor als auch nach der ersten Drucklegung. Möglicherweise lag Frau Carlsson eine später überholte Version des Skriptes von John Updike vor. Das ist zwar nicht wahrscheinlich, man kann es aber zu ihren Gunsten nur hoffen.

Die von Frau Carlsson vorgenommenen Veränderungen beziehen sich allerdings in der Mehrzahl nicht auf die erotischen Stellen, die 1960 dem amerikanischen Verlag Alfred A. Knopf zunächst noch zu explizit waren und den Wunsch nach Abmilderung hervorriefen.

Vergleicht man die dauerhaft in Druck gegangene amerikanische mit der deutschen Erstausgabe, so ist das Ergebnis desaströs. Einzelheiten erspare ich mir. Eine Übersicht der gravierenden Abweichungen, die nur auf einer Gegenüberstellung von weniger als 10 % des Textes beruht, füllt inkl. meiner Kommentierungen mehrere DIN A4 Seiten.

Kann es wirklich sein, dass Frau Carlsson nicht nur Fehler und durchgängig Ungeschicklichkeiten unterliefen, sondern dass sie viele Auslassungen (jeweils bis zu mehreren Zeilen) und in mindestens einem Fall eine Hinzufügung zum Text verantwortete?

Dass sie mit so einem schwierigen Werk keine Erfahrung hatte, ist bekannt. Dass sie als Lektorin schon vorher einen Text so entstellt hatte, dass die Übersetzer ihren Namen zurückzogen, weiß man ebenfalls. Und dass Maria Carlsson ihre erotischen Verhältnisse mit Rudolf Augstein und Martin Walser im Literaturbetrieb nicht schadeten, darf man getrost annehmen.

Noch ein Wort zur Edition.

Zu höherem Lesegenuss und einer besseren inhaltlichen Durchdringung des Textes trug auch bei, dass ich jetzt ein richtiges gebundenes Buch las. Man hat etwas Wertigeres in der Hand. Es fühlt sich alles richtig an. Der Text ist größer, besser verteilt über die Seiten, nicht so klein und gedrängt wie bei einem "Taschenbuch", wo selbst bei dem billigen und schlechten Papier, das an einer Längskante einfach zusammengeklebt ist (“Bindung”), offenbar noch an Material gespart werden soll.

Leider verzichtete der Fischer Verlag, der Anfang der 1960er in Deutschland noch Updike verlegte, bei seiner gebundenen Hardcover-Ausgabe auf die Einrückung der ersten Zeile eines jeden Absatzes. Dadurch gehen einige Absatzschaltungen des Originals verloren.

11. September 2022

Erstausgabe: Rabbit, Run. A novel by John Updike. A. Knopf, New York 1960.

Abgebildete Ausgaben:

Rabbit, Run. A novel by John Updike. Hamish Hamilton, London 1996. 309 S. In der Ausstattung der amerikanischen Erstausgabe.

Deutsche Erstausgabe: Hasenherz. Roman. Übersetzung von Maria Carlsson. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1962. 397 Seiten.

Erste deutsche Taschenbuchausgabe: Hasenherz. Roman. rororo 5398. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1976 (41.–45. Tausend 1984.) Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. 266 Seiten. Damals 7,80 DM.

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Hochgeladen am 21. März 2021. Zuletzt aktualisiert am 6. Januar 2023.

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